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Research

BioMEMS – oder warum sich „Doktern“ bei Bosch Research lohnt

Im Interview mit Dr. Daniel Podbiel, Forschungsingenieur bei Bosch Research

25.04.2024
Renningen, Deutschland
Daniel Podbiel erklärt die Funktionsweise der Kartusche anhand eines Forschungsmusters.

Bei der Erkennung von Krankheitsursachen und Erregern kommt es auf Schnelligkeit an. Deshalb setzt Bosch mit der Labordiagnostikplattform Vivalytic direkt am „Point-of-Care“ an. Tests werden dabei nicht mehr ins Labor geschickt, sondern direkt vor Ort ausgewertet. Nun sollen die Vivalytic-Testverfahren um eine neue BioMEMS-Technologie erweitert werden.

Eine Bosch Vicalytic Testkartusche wird in die Vivalytic-Labordiagnostikplatfform eingeführt.
Eine Bosch Vivalytic Testkartusche in Smartphonegröße.

Vor Kurzem hat Bosch Partnerschaften mit Randox Laboratories Ltd. und R-Biopharm bekannt gegeben, bei denen wir jeweils 150 Millionen Euro in gemeinsame Forschungs-, Entwicklungs- und Vertriebsaktivitäten für neue Tests auf der Vivalytic-Labordiagnostikplattform investieren. Der Fokus liegt auf Hochmultiplex-Tests für die Ursachenerkennung bei Sepsis-Erkrankungen, bei denen durch einen Echtzeit-PCR-Test eine Vielzahl von Erregern gleichzeitig nachgewiesen werden kann, sowie auf Tests zur Erkennung multiresistenter Bakterien. Möglich wird dies durch eine neuartige BioMEMS-Technologie, die von Teams der Bosch Forschung in Renningen und von Bosch Healthcare Solutions (BHCS) in Waiblingen entwickelt wurde. Bei dieser Entwicklung wird Technologie aus dem Gebiet der mikroelektromechanischen Systeme (MEMS) mit Mikrofluidik (Bewegung von geringen Flüssigkeitsmengen auf kleinstem Raum) kombiniert.

Die Grundlagen dafür hat Daniel Podbiel im Rahmen seines Doktorats bei Bosch Research in der Abteilung Advanced Technologies and Micro Systems gelegt. Eine spannende Angelegenheit, wie wir fanden – deshalb haben wir mit Daniel über die Technologie, seine Zeit im Bosch-Doktorandenprogramm und die Bedeutung seiner Forschung gesprochen.

Redaktion: Hallo Daniel, kannst du uns die Technologie in ihren Grundzügen erklären?

Daniel Podbiel: Die BioMEMS-Technologie, oder genauer „PCR Array-Technologie“, ermöglicht in der Vivalytic-Testkartusche eine völlig neue Umsetzung von Analyseverfahren. Auf dem Chip können wir damit eine Probensubstanz auf bis zu 250 genetische Merkmale gleichzeitig und automatisiert durch parallel ablaufende Echtzeit-PCR-Nachweise testen. Das kann in weniger als 15 Minuten und direkt am Ort der Probeentnahme geschehen. Bei Krankheiten, bei denen der Erreger schnellstmöglich festgestellt werden muss, wie im Falle einer Sepsis, kann diese BioMEMS-Technologie helfen, Leben zu retten.

Redaktion: Und was an der Technologie ist neu?

Daniel: Die bahnbrechende Neuerung besteht darin, dass wir Technologie aus dem Gebiet der sogenannten mikroelektromechanischen Systeme (MEMS), die bereits im Sensorumfeld bei Bosch etabliert ist, in die Medizintechnik und hier in den Bereich der „Point-of-Care-Diagnostik“ übertragen konnten. Dadurch können wir komplexe molekulardiagnostische Tests kompakt in einem dezentralen System durchführen. Wir haben dafür den Silizium-Baustein neu gedacht und ihn in einen Mikrofluidik-Chip umgewandelt. Das bedeutet, wir haben die Benetzungseigenschaften der Chip-Oberfläche angepasst sowie eine geeignete Mikrostrukturierung vorgenommen, die eine bestimmte Wechselwirkung mit den Flüssigkeiten gewährleistet. So können wir völlig neue mikrofluidische Funktionalitäten im Nanoliterbereich umsetzen.

Eine besondere Stärke der Bosch Forschung liegt darin, Dinge neu denken. Häufig gelingt es uns, Grundlagentechnologien für neue Anwendungsfelder und Domänen zu nutzen. Das funktioniert auch deswegen, weil wir sehr interdisziplinär arbeiten und, beispielsweise in Renningen, die Wege zwischen den Laboren kurz sind. Auch hier haben wir damit einen solchen Technologietransfer geschafft: von mikroelektromechanischen Systemen hin zu biochemischen Anwendungen im Bereich der Labordiagnostik.

Eine Nahaufnahme des zukünftigen Silizium-Chips, der auf einer Fingerspitze Platz findet.
So klein wie ein Fingernagel: der zukünftige Silizium-Chip, entwickelt von Bosch Research, Bosch Healthcare Solutions und Bosch Mobility Electronics.

Redaktion: Welche Vorteile bringt die neue „Hardware“, der Silizium-Chip, mit sich?

Daniel: Wir nutzen Silizium, weil man durch die hohe Wärmeleitfähigkeit des Halbleiters eine Polymerase-Kettenreaktion, kurz PCR, besonders schnell durchführen kann. Zudem ist Silizium mit aus der Mikrosystemtechnik etablierten Verfahren besonders präzise mikrostrukturierbar, sodass ein neues Level der Miniaturisierung im Bereich der Point-of-Care-Diagnostik erreicht werden kann. In der Folge können wir den Parallelisierungsgrad, mit dem die Nachweisreaktionen in der Kartusche als Test durchführbar sind, enorm steigern. Parallelisierungsgrad bedeutet hier die Anzahl der gleichzeitig nachweisbaren Erreger.
Bei einer Sepsis etwa können unterschiedliche Erreger ausschlaggebend sein; zudem muss schnell und richtig gehandelt werden. Hier ist eine solche Technologie Gold wert, weil sie dezentral in einem kompakten Analysegerät ausgeführt und der relevante Erreger aus einer Vielzahl von möglichen Verursachern schnell und präzise festgestellt werden kann. Das gilt auch für eine eventuelle Antibiotika-Resistenz einzelner Erreger.

Redaktion: Welchen Einfluss hatte deine Doktorarbeit auf das Projekt?

Daniel: Die Vivalytic-Labordiagnostikplattform gab es bereits, übrigens auch eine Erfindung der Bosch Forschung; allerdings war die Anzahl der durch die Echtzeit-PCR-Testmethode parallel nachweisbaren Erreger auf maximal zehn begrenzt. Ziel meiner Doktorarbeit war die Entwicklung einer Technologie, die eine deutliche Steigerung dieser Zahl ermöglicht. Ein Laborstandard für großvolumige, klassische Tests sind beispielsweise 96 Reaktionsgefäße. Diesen Grad an Parallelisierung wollten wir in Klein realisieren – auf unserem „Lab-on-Chip-System“.

Redaktion: Und wie habt ihr das geschafft?

Daniel: Im ersten Teil der Arbeit habe ich stark grundlagenbezogen auf dem Gebiet der Mikrofluidik gearbeitet, um darauf aufbauend einen Prototyp entwickeln zu können. Der Silizium-Chip an sich war durch die etablierte MEMS-Technologie bei Bosch gut umsetzbar. Die große Schwierigkeit bestand darin, den Chip geeignet zu funktionalisieren und ihn in das Gesamtsystem sozusagen mikrofluidisch zu integrieren. Im letzten Schritt ging es darum herauszufinden, wie die Flüssigkeiten geleitet werden müssen, damit das System zuverlässig funktioniert.

Im vergangenen Jahr wurde diese BioMEMS-Technologie dann in den Geschäftsbereich Bosch Healthcare Solutions transferiert, der die Entwicklung und Fertigung des BioMEMS-Chips im Geschäftsbereich Mobility Electronics (ME) angesiedelt hat. Unsere BHCS-Kollegen haben mit Hochdruck daran gearbeitet, die Technologie weiter in Richtung Marktreife zu entwickeln und passende Partner für eine effiziente Marktumsetzung zu finden. Diese hat BHCS nun mit Randox Laboratories und R-Biopharm gefunden.

Mitglieder des Bosch Research BioMEMS-Teams posieren für ein Gruppenfoto
Mitglieder des BioMEMS-Teams von Bosch Research.

Redaktion: Wie hat dich das Doktorandenprogramm von Bosch bei deiner Forschung unterstützt?

Daniel: Eine große Unterstützung war das Arbeitsumfeld und der Bosch Research Standort Renningen, wo so viele Disziplinen zusammenkommen. Im Doktorandenprogramm war der rege interdisziplinäre Austausch mit anderen Doktoranden, zum Beispiel auf der jährlichen PhD-Konferenz und den gemeinsamen Veranstaltungen, sehr wertvoll. Das gilt auch für die großartige Unterstützung durch die Fachabteilung und meinen Betreuer Jochen Hoffmann. Ich würde aber gerne den Standort herausheben, bei dem man von Anfang an das Gefühl hatte, dass man Großes bewegen kann. Hier hat man die technischen Möglichkeiten, um neue Wege zu gehen und verschiedene Dinge zusammenzubringen, die zuvor noch niemand so gedacht und gemacht hat!

Redaktion: Hast du einen Rat für aktuelle und künftige Doktoranden, damit auch deren Forschungsergebnisse reale Anwendung finden?

Daniel: Einer wäre, immer an seinen Visionen und Zielen festhalten, auch wenn es nicht gradlinig läuft oder das Ziel aus dem Blick zu geraten droht. Versucht, Grenzen zu überwinden und lasst euch von eurer Begeisterung leiten. Ein wichtiger Punkt ist, Mitstreiter zu gewinnen, denn gemeinsam kommt man schneller ans Ziel.

Portrait-Foto von Daniel Podbiel, Forscher bei Bosch Research
Dr. Daniel Podbiel, Forschungsingenieur bei Bosch Research.

Redaktion: Was ist das für ein Gefühl, wenn die eigene Doktorarbeit zur Grundlage für eine marktrevolutionierende Technologie wird, die dazu beitragen kann, Leben zu retten?

Daniel: Das ist natürlich ein tolles Gefühl. Ein wichtiger Grund, warum ich mich überhaupt bei Bosch beworben habe, war, weil ich „Technik fürs Leben“ entwickeln wollte. Ich weiß, Claims halten nicht immer, was sie versprechen – doch bei Bosch eben schon: Ich erlebe immer wieder, dass wir an Produkten arbeiten, die das Leben von Menschen besser machen. Das ist für mich bis heute eine starke Motivation! Ich bin einerseits dankbar für alles, was hinter mir liegt – für die bewegte Zeit, die Rahmenbedingungen, dass ich hier großartige Vorbilder und Kollegen habe, die mich immer weiter stärken. Aber ich schaue andererseits auch nach vorn und sehe, dass es auf dem Gebiet Healthcare Solutions noch so viel zu entwickeln gibt. Kurz gesagt: Wir haben keine Zeit, uns auf Lorbeeren auszuruhen, sondern machen zielstrebig weiter. Das eigentliche Ziel unserer Arbeit ist, diese Systeme kostengünstig und auf breiter Ebene verfügbar zu machen, sodass wir sie beispielsweise auch in Entwicklungsländer bringen können, um dort den medizinischen Standard zu heben. Die Motivation „Technik fürs Leben“ treibt mich also weiter an.

Redaktion: Für dich war es also schon immer ein wichtiger Anreiz, dass deine Forschungsarbeit der Allgemeinheit zugutekommt?

Daniel: Auf jeden Fall - und auch, dass sie produktbezogen ist. Deswegen war für mich nach dem Masterabschluss klar, den Schritt von der universitären Grundlagenforschung zur industriellen Entwicklung zu gehen. Ich bin froh, mit Bosch ein Unternehmen gefunden zu haben, das an einem Forschungs- und Entwicklungsstandort wie Renningen solche außergewöhnlichen Möglichkeiten bietet.

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