Zum Hauptinhalt springen
Stefan Hartung

Automotive Software: Die Verschmelzung von Automobil- und IT-Know-how

Im Gespräch mit dem Vorsitzenden des Unternehmensbereichs Mobility Solutions bei Bosch

Stefan Hartung, Vorsitzender des Unternehmensbereichs Mobility Solutions bei Bosch und künftiger CEO von Bosch, vor einem grünen Hintergrund.

14.09.2021

Fahrzeuge sind zu fahrenden Computern geworden, deshalb spielt Automotive Software eine wichtige Rolle. Stefan Hartung, Vorsitzender des Unternehmensbereichs Mobility Solutions bei Bosch und künftiger CEO von Bosch, sieht in der Verschmelzung von Automobil- und IT-Knowhow große Chancen für die Branche.

Das Bild vom Auto verändert sich rasant: Wer Fahrzeuge vergleichen möchte, achtet nicht mehr nur auf Pferdestärken oder Platzverhältnisse, sondern immer mehr auch auf die integrierte Intelligenz. „Software verbessert das Fahrerlebnis und entlastet vor allem die Person am Steuer“, sagt Stefan Hartung, Vorsitzender des Unternehmensbereichs Mobility Solutions und designierter CEO von Bosch. Ein Staupilot zum Beispiel kann das lästige Stop-and-go übernehmen und Elektroautos werden in naher Zukunft automatisch die preisgünstigste unter den freien Ladestationen entlang ihrer Route reservieren. Automatisiertes Parken wiederum ermöglicht es Fahrzeugen, selbständig durch Parkhäuser zu navigieren und einzuparken. „Um solche Lösungen realisieren zu können, braucht es gut programmierte Software, Vernetzung und künstliche Intelligenz“, erklärt Hartung. Deshalb wandeln sich Automobilzulieferer wie Bosch zu Software-Häusern der Mobilität.

100 Millionen

Zeilen Software-Code stecken inzwischen in einem normalen Auto – das sind zehnmal mehr als noch vor zehn Jahren.

Der Markt für Automotive Software wächst

Stefan Hartung während eines Interviews.

Waren vor zehn Jahren noch rund zehn Millionen Zeilen Software-Code in einem Auto integriert, sind es inzwischen etwa 100 Millionen Zeilen. Die Software von automatisiert fahrenden Fahrzeugen wird sogar zwischen 300 und 500 Millionen Codezeilen umfassen. Die Zahl der software-intensiven Elektronik-Systeme im Auto nimmt also weiter zu. „Der Markt für solche Systeme wird bis 2030 jährlich um 15 Prozent wachsen“, sagt Hartung. Doch auch wenn IT- und Automobiltechnik verschmelzen, bleibt ein ebenso einfacher wie folgenschwerer Unterschied: Ein Smartphone kann abstürzen, aber nicht verunglücken – das Auto sehr wohl. Es bewegt sich gleichermaßen im Daten- und Straßenverkehr. „Auch und gerade beim vernetzten Fahren gilt daher ‚safety first‘“, so Hartung.

Kompetenz bei der Vernetzung ist gefragt

Die automobile IT muss jederzeit verlässlich und fehlerfrei mit Antriebs- und Bremssystemen zusammenspielen. „Auch an diesem Punkt kommen Hightech-Zulieferer ins Spiel, die beides beherrschen: die Elektronik an Bord des Autos und das Internet der Dinge, in dem das Auto künftig vernetzt sein wird“, erklärt Hartung. Solche Zulieferer haben gute Chancen, den stark wachsenden Markt für die automobile IT zu erschließen. Deshalb hat Bosch für Fahrzeugelektronik und Software einen eigenen Geschäftsbereich gegründet. Insgesamt beschäftigt das Unternehmen bereits rund 34 000 Software-Entwickler, davon mehr als 26 000 im Bereich Mobility Solutions.

„Die Zeiten, in denen ein Auto mit seiner Auslieferung endgültig fertig war, sind vorbei.“
Stefan Hartung, Vorsitzender des Unternehmensbereichs Mobility Solutions bei Bosch

Updates für das Auto „over the air“

Mit der zunehmenden Bedeutung der Software verändern sich auch die Entwicklungszyklen in der Automobilindustrie. „Die Zeiten, in denen ein Auto mit seiner Auslieferung endgültig fertig war, sind vorbei“, sagt Hartung. „Selbst die Hardware muss ‚Upgrade-fähig‘ sein, und sei es, um nach fünf Jahren einen Fahrzeugrechner wie eine Festplatte auszutauschen.“ Typischerweise aber bietet ein solcher Rechner in der Erstausrüstung bereits mehr Funktionen als zunächst erforderlich sind. Das heißt: Er bleibt aufnahmefähig für Software-Updates, um neue Funktionen wie das automatisierte Parken „over the air“ nachzuladen. Solche Funktionen kommen mit den Updates deutlich schneller als bisher ins Auto. „So lässt sich ein und dasselbe Fahrzeugmodell, das längst auf der Straße ist, zur Version 2.0 oder 3.0 aufwerten. Die Entwicklung der Software wird also von der Hardware entkoppelt“, so Hartung. Man kennt das bereits aus der IT-Branche, doch die Sicherheitsanforderungen an die Elektronikarchitektur eines Autos sind ungleich höher.

Die Zukunft der Zulieferer

Längst haben die Automobilhersteller diese Herausforderung als Chance erkannt. Sie entwickeln spezifische Software für ihre Fahrzeuge, bis hin zu eigenen Betriebssystemen. Zudem beauftragen sie spezialisierte Software- und Chiplieferanten. „Dadurch verändert sich das Zusammenspiel der Automobilindustrie mit Zulieferern wie Bosch“, sagt Hartung. Zwei Trends zeichnen sich ab: Zum einen gilt es, bei einem Betriebssystem die Variantenvielfalt über die Modellpalette zu beherrschen, und dabei können Zulieferer mit Domänen- und Prozesskompetenz unterstützen. Zum anderen müssen Software-Module aus verschiedenen Quellen in der zunehmend komplexen Elektronik-Architektur zusammenpassen. „Auch dabei können Zulieferer helfen, die das Fahrzeug als Ganzes und nicht nur in einzelnen Domänen verstehen“, so Hartung. Gerade dieses integrative Knowhow wird stärker denn je nachgefragt.

„Automobil- und IT-Branche müssen nicht gegeneinander arbeiten, mehr denn je werden sie sich ergänzen.“
Stefan Hartung, Vorsitzender des Unternehmensbereichs Mobility Solutions bei Bosch

Automobil- und IT-Branche ergänzen sich

Auf einem Symbolbild sieht man ein halbtransparentes Elektrofahrzeug, durch das eine Parklandschaft mit grünen Büschen und Bäumen hindurchschimmert.

Während sich das Auto zu einem fahrenden Internet-Knotenpunkt wandelt, werden die Zulieferer immer mehr zu Software-Partnern der Hersteller. „Für diese Zukunft braucht es IT-Knowhow, doch das bringt nicht nur die IT-Branche mit – die Automobilindustrie hat es gleichfalls“, sagt Hartung. Natürlich können beide Seiten ihre Kräfte auch bündeln. So kooperieren Bosch und Microsoft für die Vernetzung von Autos und Cloud. Das gemeinsame Ziel: eine Software-Plattform, die neue digitale Dienste und Funktionen kostengünstiger und vor allem schneller zu den Autofahrern bringt. Erste Fahrzeug-Prototypen werden die neue Plattform bereits Ende 2021 nutzen können. „Automobil- und IT-Branche müssen nicht gegeneinander arbeiten, mehr denn je werden sie sich ergänzen“, so Hartung.

Übergreifendes Geschäft bleibt bestehen

Eines wird sich jedoch nicht ändern: Auch in Zukunft bleiben Zulieferer wie Bosch zentrale Partner der Automobilhersteller. „Unser Beitrag wird nicht zuletzt in der Basis-Software liegen, die über Hersteller und Fahrzeuggenerationen hinweg benötigt wird“, sagt Hartung. Überdies gibt es herstellerübergreifend einen Bedarf an Tools für die Entwicklung und Pflege der Software. Auch in einer software-dominierten Automobilwelt bleiben Zulieferer und Hersteller im Geschäft. Stefan Hartung erklärt dies mit einem Vergleich aus der „alten Welt“ der Automobilindustrie: „Jeder Hersteller baut Motoren, aber Bosch Einspritzsysteme für viele Kunden. Das spart Kosten für alle Beteiligten, und das wird im automobilen Software-Geschäft nicht anders sein.“

 

Portraitfoto von Stefan Hartung, Vorsitzender des Unternehmensbereichs Mobility Solutions bei Bosch und künftiger CEO von Bosch.

Stefan Hartung, 55

Vorsitzender des Unternehmensbereichs Mobility Solutions bei Bosch

Stefan Hartung wurde 1966 in Dortmund geboren. Er studierte Maschinenbau, Fachrichtung Fertigungstechnik, an der RWTH Aachen, wo er 1993 auf dem Gebiet der Methoden des Qualitätsmanagements auch promovierte. Anschließend war er bei der Fraunhofer-Gesellschaft und der Unternehmensberatung McKinsey & Company in Düsseldorf tätig. Im Jahr 2004 trat er in die Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH, München, ein. Später war er zuständig für die Unternehmensbereiche Energy and Building Technology und Industrial Technology sowie den Produktbereich Bosch Connected Industry. Im Jahr 2013 wurde Stefan Hartung in die Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH aufgenommen und 2019 zum Vorsitzenden des Unternehmensbereichs Mobility Solutions ernannt. Zum Ende dieses Jahres wird er die Nachfolge von Volkmar Denner als Vorsitzender der Geschäftsführung bei Bosch antreten.

Fazit

Die Fahrzeugsoftware wird für Automobilhersteller immer wichtiger. Deshalb wandeln sich die Zulieferer zu Software-Häusern der Mobilität, sagt Stefan Hartung. Auch die Entwicklungszyklen für Autos ändern sich. Durch Updates „over the air“ ist es beispielsweise möglich, die Entwicklung von Soft- und Hardware zu entkoppeln. Kooperationen zwischen der Automobil- und IT-Branche werden künftig zunehmen.

Teile diese Seite auf