Maritime Technologien
Interview mit Prof. Dr. Axel Bochert
Prof. Dr. Axel Bochert
Prof. Dr. Axel Bochert ist Inhaber des Lehrstuhls für Meerestechnik und Meeresenergiesysteme an der Hochschule Bremerhaven.
Seit rund zehn Jahren kann man in Bremerhaven Maritime Technologien studieren. Warum wurde der Studiengang jetzt um den Schwerpunkt Meeresenergiesysteme erweitert?
Bochert: Mit Blick auf den fortschreitenden Klimawandel und die Verknappung fossiler Brennstoffe ist es unabdingbar, dass wir uns verstärkt mit dem Ausbau einer nachhaltigen Energieversorgung beschäftigen. Vor allem müssen wir den weltweiten CO₂-Ausstoß drastisch reduzieren. Das wird uns nur gelingen, wenn wir alle verfügbaren regenerativen Energien in Betracht ziehen. Auch die maritimen Energieressourcen werden künftig ihren Anteil haben.
Noch hinkt ihre Nutzung der Offshore-Windkrafttechnologie um etwa 15 bis 20 Jahre hinterher. Die Studenten, die wir heute ausbilden, werden hier hoffentlich eine gute Aufbauarbeit leisten.
Nord- und Ostsee sind als Standorte für Wellen- oder Gezeitenkraftwerke eher ungeeignet. Weshalb ist das Thema aus deutscher Sicht dennoch wichtig?
Bochert: Es ist richtig, dass wir hierzulande nicht direkt von maritimen Energien profitieren werden. Wenn wir Deutschland jedoch im europäischen Kontext betrachten, sieht das Potenzial schon ganz anders aus. An der Atlantikküste gibt es verschiedene Standorte, die sich für den Bau von Wellen- oder Gezeitenkraftwerken eignen. Unabhängig davon kann die deutsche Wirtschaft vom Ausbau der Meerestechnik profitieren. Von der Bundesregierung unterstützt, wird sie mit ihrem jahrzehntelangen Know-how im Anlagenbau dazu beitragen, Deutschlands Position als ein führender Anbieter von innovativer Energietechnik zu stärken.
Welches Potenzial besitzt die Energie aus dem Meer für die Energieversorgung in Europa beziehungsweise weltweit?
Bochert: Das Energiepotenzial im Meer übersteigt den weltweiten Energiebedarf um ein Vielfaches. Wir müssen hierbei aber zwischen theoretischem, technisch nutzbarem und zugänglichem Potenzial unterscheiden. Bei der Zugänglichkeit werden neben den technischen Möglichkeiten auch ökonomische und ökologische Aspekte berücksichtigt. Hierdurch reduziert sich das tatsächlich nutzbare gegenüber dem theoretisch verfügbaren Potenzial auf unter ein Prozent. Studien des Weltklimarates prognostizieren, dass der Weltenergiebedarf bis zum Jahr 2050 zu 20 Prozent aus Wellen- und Gezeitenkraft gedeckt werden könnte.
Diese Prognose lässt sich meines Erachtens auch auf Europa übertragen, da es im weltweiten Vergleich relativ günstige Voraussetzungen für die wirtschaftliche Nutzung von Wellen- und Gezeitenkraftwerken mitbringt. Wegen des technologischen Vorsprungs lässt sich sogar erwarten, dass Europa diese Entwicklung anführt.
Welche Kosten stehen diesem Potenzial gegenüber?
Bochert: Sobald die unterschiedlichen Meeresenergiesysteme technisch ausgereift in größeren Stückzahlen produziert werden, können sie mit aktuellen Energiepreisen konkurrieren. Hinzu kommt: Würde man auch die Klimafolgekosten verschiedener Methoden zur Strom- und Wärmeproduktion berücksichtigen, wären maritime Energien konkurrenzlos preiswert.
Wie umweltverträglich sind die aktuell getesteten Meereskraftwerke?
Bochert: Verschiedene Studien und ökologische Arbeiten kommen zu dem Ergebnis, dass Wellen- und Gezeitenströmungskraftwerke das ökologische Gleichgewicht vor allem in der Bauphase beeinträchtigen. Die Pflanzen und Lebewesen am Meeresboden werden bei der Installation gestört. Auch Meeressäuger bleiben den Gebieten erst einmal fern. Im Betrieb kehren sie allerdings zu ihren alten Revieren zurück. Auch Flora und Fauna erholen sich schnell und nutzen die neuen Gründungsstrukturen als künstliche Korallenriffe.
Wann werden die ersten großen Kraftwerke die Marktreife erlangen?
Bochert: Wir sind derzeit in einem Stadium, bei dem in vielen Projekten sehr unterschiedliche Techniken untersucht werden. Besonders der Bereich der Wellenenergie ist ein Paradies für Tüftler und Entwickler. Hier gibt es eine Vielzahl von Methoden, von denen wahrscheinlich nur wenige die Marktreife erlangen werden.
Auch Generatoren, die die Gezeitenströmung nutzen, werden in sehr unterschiedlichen Designs getestet. Dies und die Erforschung weiterer Energiequellen aus dem Meer machen eine Vorhersage schwierig. So erscheint zwar aktuell die Energiegewinnung aus Gezeiten und Wellen am greifbarsten. Jedoch ist das Energiepotenzial, das sich aus dem Temperaturunterschied von warmem Oberflächenwasser und kaltem Tiefenwasser ergibt, viermal größer als das Potenzial von Wellen- und Strömungskraft. Ähnliches gilt für die Nutzung von Energie aus dem Gradienten der Salzkonzentration in Flussmündungen.
Was sind die größten Herausforderungen bei der Entwicklung marktreifer Technologien?
Bochert: Meereskraftwerke müssen in einem extrem feindlichen Klima bestehen. Das Salzwasser unterstützt die Korrosion. Sediment wird in der Strömung zu Sandpapier, das Lager und Gelenke angreift und in extremen Fällen auch die Oberflächen beschädigt. Sind Rotorblätter für Strömungen oder Bojen für bestimmte Wellenbewegung optimiert, kann zudem der Bewuchs alle Rechnungen zunichtemachen. Der unterschiedliche Umgang mit diesen Herausforderungen wird auch anhand der eingesetzten Techniken deutlich. Einige Entwickler bauen auf hochgradig optimierte und geregelte Systeme, während andere auf robuste Technik setzen und Zuverlässigkeit über höhere Wirkungsgrade stellen.
Abschließend eine persönliche Frage: Können populärwissenschaftlich aufbereitete Bücher wie „Der Schwarm“ von Frank Schätzing dazu beitragen, das Forschungsthema „Meeresenergie“ nach vorne zu bringen?
Bochert: Ich habe das Buch vor einigen Jahren gelesen, oder besser, angefangen zu lesen. Der Anfang war sehr interessant und hervorragend recherchiert. Zum Schluss wurde es mir allerdings zu chaotisch, so dass es eines der wenigen Bücher war, die ich zur Seite gelegt habe. Ich glaube nicht, dass uns solche Bücher in der Forschung weiter helfen. Die Leser dieser Bücher sind schon interessiert und bezüglich der Klimaprobleme sensibilisiert. Wir benötigen die richtigen Entscheidungen aus der Politik. Um die wirtschaftliche Nutzung von Meeresenergie voranzutreiben, werden wir über viele Jahre Unterstützungen etwa in Form von Forschungsförderung und Subventionen benötigen.
(Die Fragen beantwortete Prof. Axel Bochert im Dezember 2013)