Die feinen Sinnesorgane der Technik: Sensorik bei Bosch im Rückblick

Sensoren sind ein Zukunftsprodukt. In der vernetzten Welt ermitteln sie Temperatur, Druck, Licht oder Beschleunigung. Sie helfen Menschen, sich zu orientieren; bei Unfällen, die schnelle Versorgung durch Rettungsdienste zu veranlassen; oder bei Regen automatisch die Dachfenster einer Wohnung zu schließen.

Blick zurück
Aber eigentlich sind sie auch ein Produkt der Vergangenheit. Es ist eine Konstante in der technikgeschichtlichen Entwicklung, Werte zu messen, um auf dieser Basis Reaktionen auszulösen, also Bedingungen zu verändern oder zumindest zu warnen.
Ein Beispiel ist die Radglocke. Das klingt nicht nach Sensor, ist aber einer: Im Frühjahr 1923 von Bosch auf den Markt gebracht, war sie eine Warneinrichtung, die beim Automobil durch ein schrilles Glockensignal bei nachlassendem Luftdruck und drohendem Reifenplatten warnte:
Sank die Felge durch entweichende Luft aus dem Reifen ab, begann der an ihr befestigte Klöppel bei jeder Umdrehung auf dem Straßenbelag zu schleifen und schlug dadurch über ein Gelenk am Kopf der Glocke an. Eine solche Idee war damals wichtig, denn nach dem Ersten Weltkrieg (1914-18) war Naturkautschuk in Europa Mangelware und Autoreifen entsprechend teuer. Bosch erkannte die Marktlücke und bot fünf Radglocken, eine für das Reserverad, zum Preis eines Autoreifens an.
Sparen und Reduzieren
Diese Fertigkeiten eines Sensors sollten bei Bosch immer eine große Rolle spielen – doch erst viele Jahrzehnte später. Die nächsten Spuren auf der Suche nach ihrer Anwendung finden sich in Druckfühlern, die in den ersten elektronisch gesteuerten Benzineinspritzsystemen Anwendung ab 1967 fanden. Der ermittelte Druck, an das Steuergerät weitergereicht, bestimmte die zugeführte Benzinmenge und sorgte damit für optimale Verbrennung – also möglichst niedrigen Verbrauch und möglichst niedrige Abgasemissionen.
Es folgten Fühler - man nannte sie bei Bosch ab den 1970er Jahren zunehmend eher „Sensoren“ - für die Messung von Luftmenge oder auch den Sauerstoffgehalt im Abgas. Die von Bosch entwickelte und 1976 vorgestellte Lambdasonde war unverzichtbarer Bestandteil der alsbald Standard gewordenen Dreiwegekatalysatoren zur Abgasreinigung.

Verkleinern und verbessern
In den 1980er Jahren war bei Bosch die Anwendung von Sensoren ein signifikanter Umsatzfaktor geworden, ein Millionengeschäft. Aber immer kleiner werdende Bauteile in der Autoindustrie ließen zwangsläufig auch Überlegungen reifen, Sensoren zu miniaturisieren. Schließlich mussten sie Platz auch in den Gehäusen kleinster elektronischer Steuergeräte finden.
Bei Bosch arbeitete ein Entwicklungsteam seit 1987 an solchen miniaturisierten Nachfolgern der mechanischen Fühler, doch war das eine äußerst komplexe technische Herausforderung.
Serienreif
So dauerte es rund sechs Jahre, bis sie 1993 serienreif waren und ab 1995 schließlich in großen Stückzahlen bei Bosch gefertigt wurden. Das hatte gute Gründe. Schließlich hatte sich als machbares Konzept eine mikromechanische Konstruktion erwiesen. Doch diese „MEMS“ (microelectromechanical systems) genannten Sensoren mussten auf einer Größe, die kleiner war als die einer Erbse, mit beweglichen Teilen ausgestattet sein. Beispiel ist eine „Wippe“, die bei einer Bewegungsänderung ihre Lage änderte, etwa, um bei einem Aufprall infolge eines Unfalls Informationen zu liefern, ob der Airbag ausgelöst werden muss oder nicht.
Diese winzigen Strukturen herzustellen, gelang Anfang der 1990er Jahre einem Forscherteam bei Bosch mit einem völlig neuen Verfahren, dem Plasmaätzen, das bei MEMS heute Standard ist – und in der Welt der Mikromechanik als „Bosch-prozess bekannt. Es schuf die Voraussetzungen, die MEMS in großen Stückzahlen herzustellen.

Nicht nur fürs Auto
Die kleinen Helfer setzten sich schnell durch und waren in fast allen elektronisch geregelten oder unterstützten Funktionen im Auto vertreten: in der Benzin- und Dieseleinspritzung genauso wie in Bremsregel- und Fahrerassistenzsysteme, etwa im Elektronischen Stabilitätsprogramm ESP. Aber ihre geringe Größe - schon vor zehn Jahren waren die kleinsten Sensoren nur 2,5 Millimeter lang und breit - brachte kreative Köpfe auf die Idee, si auch in ganz anderen Geräten einzusetzen. So gründete Bosch 2005 das Tochterunternehmen Bosch Sensortec, um diese mikromechanischen Sensoren weiterzuentwickeln, für Laptops, Spielekonsolen und schließlich auch für Smartphones und Tablets, die in den Folgejahren auf den Markt kamen und schnell in enormen Stückzahlen hergestellt wurden. Sie merken, ob der Tabletbildschirm von längs auf quer gedreht wird oder parken blitzschnell die Festplatte, wenn der Laptop vom Tisch fällt.

Blick voraus
Mittlerweile stellt Bosch täglich vier Millionen mikromechanische Sensoren her, und ist damit Weltmarktführer. Und die Produktionszahlen werden sicher noch signifikant steigen. Das liegt nicht nur daran, dass der Bedarf an Sensoren in Fahrzeugen steigt. Es liegt auch daran, dass immer mehr Technik des täglichen Bedarfs ohne menschliches Zutun funktionieren wird.
Aber auch dazu braucht man die kleinen Helfer: Bevor sich aber automatisch die Heizung einschaltet oder das Dachfenster sich schließt, muss ein Sensor starken Temperaturabfall oder Regentropfen registrieren.
Autor: Dietrich Kuhlgatz