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Unfallforschung

Gemeinsam für mehr Verkehrssicherheit

Wie die Bosch-Unfallforschung Thailands Straßen sicherer machen will

Thomas Lich und Kollegen bei der Autounfallforschung in Thailand

Thomas Lich wischt sich den Schweiß von der Stirn, während er sich über die zerstörte Motorhaube eines pinken Taxis beugt. Der rechte Scheinwerfer des Wagens ist zerbrochen und hängt heraus. Die Stoßstange ist komplett zerbeult. In Thailand ist es bereits vormittags sehr heiß und schwül. Lich untersucht den schweren Unfallschaden akribisch. Normalerweise arbeitet er in einem klimatisierten Büro bei Bosch Research in Renningen und leitet die Bosch-Unfallforschung. Doch heute steht er vor einer Polizeistation in Nonthaburi, einem Vorort von Bangkok in Thailand. Ihm schauen rund zwanzig thailändische Studenten, Polizisten und Forensiker aufmerksam über die Schulter, während er das beschädigte Fahrzeug untersucht.

Thomas Lich während einer Messung auf einer Straße
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Unfälle, Schicksale und Statistiken: die traurige Realität auf den Straßen Thailands

Das Taxi war am Vortag ganz in der Nähe in einen schweren Verkehrsunfall verwickelt und wurde anschließend zur Beweisaufnahme zur Polizeistation gebracht. Lich, sein Kollege Jörg Mönnich und die Trainingsgruppe wollen herausfinden, was genau passiert ist. Lich erläutert, dass es sich um eine seitliche Kollision mit einem Motorrad als Unfallgegner handeln muss, und zeigt woran dies am Taxi zu erkennen ist. Im Fokus steht bei dem Training nicht, wer Schuld an dem Unfall hatte. Das ist auch in Thailand die Aufgabe der Polizei und der Gerichte. Bosch möchte dabei unterstützen, vor Ort eine kollaborative Unfall-Datenbank aufzubauen. Sie soll auf wissenschaftlicher Basis Daten zu tödlichen Verkehrsunfällen erfassen, um diese anschließend statistisch auszuwerten. In Deutschland gibt es ein Vorbild und eine vergleichbare Datengrundlage, die bereits seit 25 Jahren aktiv betrieben wird – die sogenannte GIDAS-Datenbank (German In-Depth Accident Study). Damit wird unter anderem ersichtlich, welche Faktoren statistisch am häufigsten zu Verkehrsunfällen führen. Die deutsche Unfalldatenbank umfasst mehr als 47 000 Verkehrsunfälle mit Personenschaden. Mit etwa 2 000 Unfällen pro Jahr und über 3 500 Einzelinformationen pro Unfall bildet diese umfangreiche Datengrundlage das Fundament für detaillierte Analysen und Erkenntnisse.

Thomas Lich und Kanik Chalermphak beim Training im Central Institute of Forensic Science in Bangkok.
Thomas Lich von der Bosch-Unfallforschung und Kanik Chalermphak trainieren die Unfallexperten des Central Institute of Forensic Science in Thailand.

In Thailand ist das Wissen um die Ursachen von Verkehrsunfällen noch lückenhaft. Das möchte Lich gemeinsam mit dem thailändischen Central Institute of Forensic Science (CIFS) ändern. Er arbeitet hierzu intensiv mit Kanik Chalermphak zusammen. Kanik ist beim CIFS als Unfallexperte und Forensiker tätig. Die Unfallexperten werden immer dann von der Polizei gerufen, wenn es um tödliche Unfälle geht und die Person an der Unfallstelle verstirbt – und das passiert leider viel zu oft. Fast täglich müssen sie zu jeder Tages- und Nachtzeit auf die Straßen Bangkoks ausrücken, um Unfälle zu untersuchen und zu dokumentieren. Kein leichter Job, denn es geht dabei immer um schwere menschliche Schicksale. Vor Ort machen die CIFS-Experten Fotos, messen die Unfallstelle aus und untersuchen die Unfallfahrzeuge. In Thailand wurden 2023 über 800 000 Menschen bei Verkehrsunfällen verletzt. Mehr als 14 000 Menschen verloren dabei ihr Leben. In Relation zur Bevölkerungszahl gehört das südostasiatische Land damit im Straßenverkehr zu den gefährlichsten Ländern der Erde.

Den Ursachen auf der Spur

Aber warum ist das so? Für Kanik sind die Gründe vielfältig. Manche Ursachen erkennt man sofort: An Kreuzungen schlängeln sich die vielen Motorräder und Roller nach vorne – zwischen den Autos hindurch. Scheint der Umweg zur nächsten Wendemöglichkeit zu lang, fahren viele mit dem Motorrad oder Fahrrad auch gegen die Fahrtrichtung. Dazwischen Tuk-Tuks oder Lieferwagen, voll beladen und manchmal in keinem guten technischen Zustand. An den Seiten versperren die typischen mobilen Garküchen häufig die Sicht. Einen gesicherten Fußgängerüberweg findet man kaum. Zudem nehmen viele Verkehrsteilnehmer die Gefahren nicht ernst genug, sind beispielsweise ohne Helm unterwegs oder nicht angeschnallt. „Ein großes Problem ist oft die Infrastruktur: Manchmal ist die Straßenführung verwirrend oder die Beleuchtung unzureichend“, erklärt Lich. Auch der Zustand der Fahrzeuge oder die technische Ausstattung mit modernen Sicherheitssystemen sei noch nicht ausreichend. „So wissen wir aus unseren Untersuchungen, dass bei LKW beispielsweise häufig der Unterfahrschutz fehlt,“ ergänzt Lich. Auch Kanik vom CIFS unterstreicht die Bedeutung des Projekts: „Wir wollen die Sicherheit auf den Straßen erhöhen. Bosch haben wir gebeten, uns mit seiner ausgewiesenen Expertise zu unterstützen.“ Als weltgrößter Automobilzulieferer verfügt Bosch nicht nur über eine fundierte Technikkompetenz, sondern seit 20 Jahren auch über eine eigene Unfallforschung. Das Team um Lich hat bereits international ähnliche Projekte erfolgreich etabliert und Erfahrung mit regionalen Herausforderungen. Kaum ein anderer Automobilzulieferer kann ein vergleichbares Know-how bieten. Gemeinsam können so Ursachen identifiziert, effektive Maßnahmen entwickelt und diese priorisiert werden. Ziel ist es, langfristig für Thailand eine allgemein zugängliche Datenbasis zu schaffen. Sie soll die Grundlage für aussagekräftige Studien bilden, die für die Entscheidungsträger zur Ableitung von Maßnahmen wichtig sind. Denn auch in Thailand können Gesetzgeber, Straßenbetreiber, Behörden oder Autohersteller nicht alles gleichzeitig umsetzen.

Bosch-Unfallforscher Thomas Lich untersucht ein pinkes Taxi nach einem Unfall in Nonthaburi, Thailand.
Der Bosch-Unfallforscher Thomas Lich untersucht ein pinkes Taxi, das am Vortag in einen schweren Unfall verwickelt war, um die Unfallursache zu finden.

Zahlen, Daten, Fakten – wissenschaftliche Erkenntnisse von Unfällen

An der lückenhaften Datengrundlage setzt das 2018 gestartete Projekt von Bosch und dem CIFS an: der Aufbau der Thailand In-Depth Accident Science (TIDAS) Datenbank. In der gemeinsamen Datensammlung sollen – nach wissenschaftlichen Standards und deutschem Vorbild – die tödlichen Unfälle zunächst in der Provinz Nonthaburi erfasst werden. Derzeit erhebt CIFS bis zu 300 Einzelinformationen pro Unfall. Nach und nach werden dann weitere regionale Informationen ergänzt. Dadurch können Forscher Ursachen erkennen und auslösende Faktoren bestimmen. „Aber um Maßnahmen für mehr Verkehrssicherheit ableiten zu können, benötigen wir viel mehr Fälle,“ so Lich. „Deshalb müssen wir zunächst weitere Unfälle erfassen, rekonstruieren, auswerten und prüfen.“ Bosch unterstützt das CIFS mit Know-how und gibt Antworten auf wichtige Fragen: Welche Bilder müssen an der Unfallstelle gemacht, welche Maße genommen werden? Wie war die Situation vor der Kollision? Was ist vor Ort zu dokumentieren – auch in Situationen, in denen der Verkehr weiterfließen muss? Und was lässt sich auch im Nachgang im Büro in aller Ruhe analysieren? Die Kooperation ist aktuell bis Ende 2026 angelegt. Erste Ergebnisse und Auswertungen der Projektarbeit sind vielversprechend. Die Daten zeigen Unfallschwerpunkte in der Region an bestimmten Straßen und Kreuzungen. So lässt sich für Straßenbetreiber ermitteln, wo ein Fußgängerüberweg gebaut oder die Straßenführung geändert werden sollte.

Bosch-Unfallforscher Thomas Lich vermisst ein Unfallfahrzeug auf einem Highway in Thailand
Die genaue Vermessung am Unfallort ist einer der wichtigsten Aufgaben, um präzise Daten zu erheben und später auswerten zu können.

Weniger Unfälle dank Bosch-Sicherheitssysteme

Neben Problemen in der Infrastruktur gibt es auch Defizite in der technischen Ausstattung der Fahrzeuge. Thomas Lich fügt hinzu: „Mit moderner Sicherheitstechnik ließen sich auch in Thailand sehr viele Unfälle verhindern, insbesondere bei Motorrädern.“ Denn hier sind motorisierte Zweiräder oft das Verkehrsmittel der Wahl. Das Land hat die höchste Motorrad-Dichte in Asien. Leider sind auch 80 Prozent der Verkehrstoten in Thailand Roller- oder Motorradfahrer. Sicherheitssysteme für Zweiräder sind deshalb besonders wichtig, werden vor Ort allerdings noch zu selten eingesetzt. Das soll sich jedoch bald ändern, denn die Regierung in Thailand schreibt seit Januar 2024 vor, dass jedes Motorrad mit einem Hubraum von mehr als 125cc ein ABS haben muss. Lich unterstreicht die Bedeutung: „Wir gehen davon aus, dass jeder dritte Motorradunfall mit Personenschaden vermieden oder in der Schwäche abgemildert werden kann – wenn jedes motorisierte Zweirad mit ABS ausgestattet ist.“ Das System ist auch für kleinere Motorräder und Roller empfehlenswert. Die Bosch-Unfallforschung konnte bereits vor Jahren zeigen, welchen Nutzen das Motorrad ABS und eine Fahrdynamikregelung, auch bei Motorrädern, hat. 2013 hat Bosch die Motorradstabilitätskontrolle (MSC) auf den Markt gebracht, die die Sicherheit für Biker erhöht. „Hier konnten wir aus der Unfallforschung heraus einen Anstoß für die Entwicklung liefern,“ erklärt Lich.

Porträt des Bosch-Unfallforschers Thomas Lich

Wir gehen davon aus, dass jeder dritte Motorradunfall mit Personenschaden vermieden oder in der Schwäche abgemildert werden kann – wenn jedes motorisierte Zweirad mit ABS ausgestattet ist.

Thomas Lich, Bosch-Unfallforscher

Ein weiteres Problem in Thailand sind vollgeladene, teilweise überladene, Pick-Up-Lieferfahrzeuge, die meist kein elektronisches Stabilitätsprogramm ESP® haben. Gerade sie neigen wegen ihres hohen Schwerpunkts zum Schleudern oder Kippen. Die Bosch-Unfallforschung konnte für Europa mit Hilfe der Daten die Wirksamkeit dieser Technik nachweisen: So kann der Schleuderschutz ESP® 80 Prozent aller Schleuderunfälle bei Autos verhindern. Allein in der EU und UK hat ESP® in den letzten 30 Jahren mehr als 22 000 Menschen das Leben gerettet.

Und Bosch treibt seine Entwicklungen mit Sicherheitstechnik für die Mobilität weiter voran. Der Einsatz der innovativen, radar-basierten Assistenzsysteme (ARAS) könnte jeden sechsten Motorradunfall verhindern. Bosch verfolgt mit seiner Forschung und Technik ein klares und ambitioniertes Ziel: eine möglichst unfallfreie Mobilität – und das weltweit.

Anerkannte Partnerschaft – Hand in Hand für Thailand

Das Team der Bosch-Unfallforschung und die Projektpartner vom thailändischen CIFS leisten hierzu einen wichtigen Beitrag. Für dieses Engagement in Thailand erhielt Bosch 2024 den renommierten Road Safety Award der thailändischen Premierministerin. Die Bosch-Unfallforschung zeigt durch ihre wissenschaftliche Arbeit, dass viele kleinere und größere Schritte gemeinsam mit Partnern weltweit notwendig sind, um die Mobilität sicherer zu machen und Unfälle zu vermeiden. Für dieses Ziel lohnt sich jeder Schweißtropfen in der Hitze Thailands.

Thomas Lich erhält den Prime Minister’s Road Safety Award 2024 für Bosch in Thailand
Thomas Lich nimmt den renommierten Prime Minister’s Road Safety Award 2024 für den Einsatz von Bosch zur Verbesserung der Verkehrssicherheit in Thailand entgegen. Der Preis wurde ihm von Vizepremierminister Anutin Charnvirakul überreicht.

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