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Denner’s view

„Wir müssen beides entwickeln, KI und Vertrauen in KI“

Dr. Volkmar Denner, CEO von Bosch, über die Ethik der Künstlichen Intelligenz

Bosch CEO Volkmar Dennervor einem KI-Motiv

19.02.2020

Es ist an der Zeit, Künstliche Intelligenz nicht mehr mit künstlicher Distanz zu betrachten. Wir müssen ihren Nutzen im täglichen Leben in den Blick nehmen.

von Dr. Volkmar Denner

KI soll dem Menschen dienen, nicht umgekehrt. Also darf sie sich seiner Kontrolle nicht entziehen. Wie können künstliche und menschliche Intelligenz sich ergänzen? Auf Fragen wie diese will Bosch mit einem Kodex, der den Wert, aber auch die ethischen Grenzen der KI reflektiert, Antworten geben. Er stellt Entscheidungskriterien bereit für die Entwicklung und Verwendung von intelligenten Systemen. Auch und gerade in Zeiten der KI sind Werte entscheidend: Verantwortung schafft Vertrauen.

Er stellt Entscheidungskriterien bereit für die Entwicklung und Verwendung von intelligenten Systemen – Kriterien, die auch unsere Mitarbeiter verpflichten. Auch und gerade in Zeiten der KI sind Werte entscheidend: Verantwortung schafft Vertrauen.

„Wir wollen KI für die Menschen sicher, robust und nachvollziehbar machen, egal ob in der Produktion oder beim automatisierten Fahren.“
Volkmar Denner, Bosch CEO

KI kann Vorurteile hinter sich lassen

Noch immer bestimmen Vorbehalte oder gar dunkle Science-Fiction-Szenarien das Bild. Wenn es nach diesen Visionen geht, überholt KI die menschliche Intelligenz, sie erweist sich als unbeherrschbar und kostet die Menschen mindestens ihre Jobs. Bosch folgt einem anderen Bild: Wir wollen KI für die Menschen sicher, robust und nachvollziehbar machen, egal ob in der Produktion oder beim automatisierten Fahren. Und in der Arbeitswelt prognostizieren wir nicht nur technischen Wandel, sondern auch Facharbeitermangel – und vor diesem Hintergrund gewinnt die Zusammenarbeit von Menschen und mitdenkenden Maschinen an Bedeutung.

Das setzt Unternehmen voraus, die strategisch die digitale Transformation mit gezielter Personal- und Bildungspolitik gestalten – Unternehmen, die in die Qualifikation ihrer Mitarbeiter ebenso wie in die Intelligenz ihrer Maschinen investieren. Auch Bosch versteht sich als lernendes Unternehmen – in den nächsten zwei Jahren machen wir nahezu 20 000 Mitarbeiter fit für die Entwicklung und Verwendung von KI.

KI kann Klimaschutz

Doch geht der gesellschaftliche Nutzen von KI über Alltag und Arbeitswelt noch hinaus: So wird Künstliche Intelligenz auch dem Umwelt- und Klimaschutz zugutekommen. Schon jetzt nutzt Bosch intelligente Algorithmen in seiner Energy Management Plattform, um kurzfristig Abweichungen im Energieverbrauch jeder einzelnen Maschine zu erkennen und Lastspitzen aufzufangen. Damit ließ sich der Kohlendioxidausstoß je nach Werk binnen zwei Jahren um gut zehn Prozent verringern. Und mit Künstlicher Intelligenz können wir den Energieverbrauch in Zukunft auch langfristig prognostizieren und reduzieren. Das alles ist Anlass genug, sich nicht länger in Debatten über Technologierisiken zu verlieren, vielmehr die Technologiechancen in den Blick zu nehmen.

Mitarbeiter überpfügen die Energy Management Plattform.
Mit Hilfe von KI erkennt die Energy Management Plattform kurzfristige Abweichungen im Energieverbrauch und fängt Lastspitzen ab.
Durch KI können bis 2022 weltweit 75 Millionen bisherige Arbeitsplätze verloren gehen, dafür jedoch 133 Millionen neue Jobs entstehen.
Prognose des World Economic Forum

KI macht Märkte

Dabei steckt in der Künstlichen Intelligenz auch ein erhebliches wirtschaftliches Potenzial. Das sehen wir bei Bosch voraus, und das wird durch eine Vielzahl unterschiedlicher Studien bestätigt. Die Beratungsgesellschaft PwC zum Beispiel erwartet bis 2030 in allen Teilen der Triade eine Steigerung des Bruttoinlandsprodukts durch KI – in China um 26, in Nordamerika um 14 und in Europa um rund zehn Prozent. Wie das World Economic Forum prognostiziert, können durch KI bis 2022 weltweit 75 Millionen bisherige Arbeitsplätze verloren gehen, dafür jedoch 133 Millionen neue Jobs entstehen. Selbst wenn diese Prognosen nur annähernd Realität werden, so deuten sie doch die große ökonomische Relevanz der Künstlichen Intelligenz an. Realisieren werden wir dies jedoch nur, wenn wir den Nutzen von KI für die Menschen verständlich machen – und vor allem Vertrauen in digitale Systeme aufbauen.

KI braucht Verantwortung

Ein Mann steht direkt neben einem Roboterarm
Wie können sich künstliche und menschliche Intelligenz ergänzen?

Unternehmen wie Bosch müssen zwei Wege gehen, damit aus KI eine Erfolgsgeschichte wird. Die technischen Voraussetzungen und Lösungen zu entwickeln, mit Innovationen neues Geschäft zu erschließen – das ist das eine. Die Gesellschaft vom Nutzen der KI zu überzeugen – das ist das andere. Eben deshalb hat Bosch einen Kodex für den verantwortungsvollen Umgang mit künstlicher Intelligenz erarbeitet. Wir müssen beides entwickeln, KI, aber auch Vertrauen in die KI – das eine wird sich nur mit dem anderen durchsetzen. Dieses Vertrauen entscheidet über den Erfolg im digitalen Geschäft, genauso wie das klassische Produktgeschäft mit Qualität steht und fällt.

KI braucht menschliche Kontrolle

Was aber ist entscheidend in der ethischen Annäherung an die KI? Zunächst und vor allem, dass die Menschen die Kontrolle an Systeme der Künstlichen Intelligenz nicht vollständig abgeben, also in die Entscheidungen dieser Systeme einbezogen bleiben. Beispiel Fahrerassistenz: Hier unterstützt die KI, sie entlastet den Fahrer – der aber bleibt verantwortlich und kann sie übersteuern. Grundsätzlich sollen die Algorithmen von KI-Modellen keine „black box“ sein, sie sollen sorgfältig und transparent zugleich entwickelt werden. Nur so bleiben auch automatisierte Entscheidungen fair und für Fachleute nachvollziehbar. Zur Ethik der Künstlichen Intelligenz vermittelt Bosch Leitlinien nicht nur den eigenen Entwicklern, wir streben dazu auch einen öffentlichen Diskurs an. Welche Entscheidungen können wir Maschinen überlassen, wann und wo sollen Menschen intervenieren – über solche Fragen müssen Unternehmen offen mit Politik, Wissenschaft und Gesellschaft diskutieren.

Auch KI muss „Technik fürs Leben“ sein

Letztendlich geht es hier um die wichtige Balance zwischen der wirtschaftlichen und der gesellschaftlichen Dimension unternehmerischer Verantwortung. Auf den ersten Blick erscheint ein Paradoxon: Wir wollen das Geschäft mit KI erschließen, setzen der technischen Entwicklung aber ethische Grenzen – aber nur, wenn wir diese Grenzen einhalten, entsteht Vertrauen, das nach unserem Selbstverständnis das Geschäft auf Dauer trägt.

So, und nur so, löst sich das Paradoxon auf. Und die ethischen Grenzen werden im neuen KI-Kodex durchaus konkret: etwa keine Abwägung von Leben gegen Leben. Einfach macht es sich der neue Kodex nicht. Aber er übersetzt das Leitmotiv von Bosch in die Zukunft: Auch Künstliche Intelligenz muss „Technik fürs Leben“ sein.

Erstveröffentlichung im Handelsblatt am 19. Februar 2020

Bosch Leitlinien für den Umgang mit Künstlicher Intelligenz

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