Innovation im Blick
Die Sonne geht auf über Yokohama, der zweitgrößten Stadt Japans, und taucht den Himmel über den Wolkenkratzern in leuchtendes Rot. Doch die vielen tausend Menschen, die eilig die großen Kreuzungen im Stadtzentrum überqueren und in den unterirdischen Haltestationen verschwinden, haben hierfür keinen Blick. Sie sind auf dem Weg zur Arbeit. Dabei nutzen die meisten den öffentlichen Nahverkehr, der zu den besten und effizientesten der Welt gehört. In den vollen Schnellzügen und Bahnen ist es auffallend ruhig. Respekt und Zurückhaltung, das ist es, worauf die Japanerinnen und Japaner großen Wert legen.
Viele machen unterwegs noch einen Abstecher in eines der zahlreichen kleinen Lokale und bestellen per Touchscreen ihren Kaffee oder Matcha Latte. Vorbei an digitalen Reklametafeln, die im Stadtzentrum an den Wolkenkratzern prangen, strömen die Menschen schließlich in moderne Bürogebäude. Eines von ihnen ist die neue Landeszentrale von Bosch, die im Herbst 2024 fertiggestellt wurde.
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Einzigartiger Standort
Rund 2 000 Beschäftigte aus Forschung und Entwicklung, Verwaltung, Vertrieb und Marketing treiben hier Zukunftstechnologien wie automatisiertes Fahren und Fahrerassistenzsysteme voran. Landesweit arbeiten mehr als 6 300 Beschäftige bei Bosch, 1 800 davon in Forschung und Entwicklung. Die neue Landeszentrale ist mit Blick auf Architektur und Design einzigartig in der Bosch-Welt: Der japanische Einrichtungsstil mit hellem Holz, Pflanzen und Akzentfarben bei Möbeln vereint Moderne, Wärme und Ruhe. Große Glasfronten fluten die vielen raffiniert gestalteten Zusammenarbeitsräume mit Licht. Christian Mecker, Repräsentant von Bosch in Japan, sitzt in einem von ihnen und erklärt voller Stolz: „Mit der Investition von 270 Millionen Euro in unseren neuen Standort hat Bosch sein Engagement in Japan bekräftigt.“
Die Menschen sind der Grund, warum ich gerne in Japan Geschäfte mache.
Das Unternehmen ist seit 114 Jahren in dem Land in Ostasien vertreten und fertigt in zehn Werken Produkte und Lösungen für verschiedene Märkte und viele Kunden. Darunter Komponenten für den Automobilmarkt wie das elektronische Stabilitäts-Programm (ESP) und den elektrohydraulischer Bremskraftverstärker iBooster. „Zuvor waren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an acht verschiedenen Standorten im Großraum Tokio und Yokohama verteilt“, erläutert er. Ein Ziel sei es gewesen, dass die Expertinnen und Experten aus den unterschiedlichen Bereichen durch die räumliche Nähe enger zusammenarbeiten können. „Schneller, effizienter, kreativer“, so der Landeschef. Nach einem halben Jahr stellt der Maschinenbauingenieur fest: „Wir sind auf dem richtigen Weg. Unsere Teams entwickeln jetzt zusammen noch passgenauere Lösungen für die Anforderungen unserer Kunden.“
Bevor der 57-Jährige die Rolle als Landeschef vergangenen Oktober antrat, verantwortete er das Mobilitätsgeschäft von Bosch in Süd- und Ostasien. Für den gebürtigen Franzosen ist Japan längst zur zweiten Heimat geworden. Ebenso wie für seine Frau und die drei Kinder. Fast neun Jahre seiner beruflichen Laufbahn hat er hier verbracht. In unterschiedlichen Aufgaben für Bosch.
Wichtiger Markt
Japan ist nach den USA, China und Deutschland die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt. Das Land der aufgehenden Sonne ist führend in Hightech-Industrien wie Robotik, Halbleitertechnik und künstliche Intelligenz (KI) und auch in der Elektronik und im Maschinenbau. Außerdem haben der größte Automobil- und der größte Motorradhersteller der Welt ihren Unternehmenssitz in Japan.
„Diese Faktoren machen den japanischen Markt für Bosch attraktiv und wichtig“, erklärt Mecker. „Japanische Autohersteller repräsentieren etwa 30 Prozent des globalen Automobilmarktes. Sie sind unsere Kunden und sie sind in vielen Weltregionen führend“. Es sei wichtig für das Unternehmen, vor Ort präsent zu sein, um lokale Kundenanforderungen besser bedienen zu können. Trotz des schwierigen wirtschaftlichen Umfelds und rückläufiger Fahrzeugproduktion ist es Bosch in Japan 2024 gelungen, den Umsatz leicht zu steigern.
Balancierte Aufstellung
Davon entfallen derzeit 90 Prozent auf das Mobilitätsgeschäft, unter anderem mit Produkten und Lösungen von Vehicle Motion, Power Solutions, Cross-Domain Computing Solutions und dem Motorradgeschäft von Two-Wheeler und Powersports. Dabei setzt Bosch stark auf Innovation: Als ein Beispiel dafür nennt Mecker ein Entwicklungsprojekt des Geschäftsbereichs Vehicle Motion. Dabei könne das Fahrverhalten des Autos durch Softwarefunktionen personalisiert, also auf die individuellen Bedürfnisse eingestellt, werden.
Auch in Japan verfolgt Bosch das strategische Ziel, seine Unternehmensbereiche balancierter aufzustellen. Der Inselstaat hat mit seiner Vielzahl an Industrien großes Potenzial für den Ausbau von Geschäftsfeldern. Ein Beispiel hierfür ist die geplante Übernahme des weltweiten Heizungs-, Lüftungs- und Klimatisierungsgeschäft für Wohn- und kleine Gewerbegebäude von Johnson Controls und Hitachi, die für das Geschäft in der Region Asien-Pazifik große Chancen biete. „Wir können langfristig auf die globale Lizenzmarke Hitachi bauen und werden künftig mit dem Geschäftsbereich Home Comfort auch in Japan vertreten sein“, sagt Mecker. Der Abschluss der Akquisition sei für Sommer 2025 geplant, wenn die Zustimmung aller Kartellbehörden vorliegt. Das Unternehmen wolle ebenfalls die Aktivitäten von Bosch Rexroth ausbauen.
Der Landeschef macht sich von seinem Büro aus auf den Weg zum Testlabor von Vehicle Motion. Vorbei am neuen Atrium mit runden Tischen und bunten Stühlen und Beschäftigten, die konzentriert auf ihren Bildschirm schauen, erreicht er die hellen, sterilen Räume. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter prüfen auf den Werkbänken Prototypen des ESP-Moduls. Mecker schaut neugierig in ein Mikroskop und tauscht sich interessiert mit den Beschäftigten zu ihren Projekten aus. „Die Menschen sind der Grund, warum ich gerne in Japan Geschäfte mache“, betont er.
Vertrauensvolle Beziehungen
Kunden sähen in Bosch aufgrund seiner Innovationskraft und starken Marktstellung den besten Partner für neue Produkte und Lösungen. „Mit etwas Geduld entwickelt man hier tiefe, vertrauensvolle Beziehungen und kann gemeinsam neue Zukunftstechnologien entwickeln“, erläutert der Landeschef. In Japan habe er gelernt, unterschiedliche Kulturen zu verstehen, sie zu respektieren und sensibel mit ihnen umzugehen. „Verschiedene Länder haben unterschiedliche Denkweisen. Technologien können auf viele Weisen entwickelt werden, es gibt nicht die eine richtige Lösung.“
Durch die offenen Fenster dringt das Röhren von Motorrädern. Das Geräusch gehört in Japan zum Alltag, denn das Land hat weltweit die tiefste kulturelle Verbindung zu diesen Fahrzeugen. Honda, Yamaha, Suzuki und Kawasaki, allesamt klangvolle Namen in der Bikerbranche, steuern ihre weltweiten Geschäfte von Japan aus. Und arbeiten dabei eng mit Bosch zusammen.
Vielversprechendes Geschäftsfeld
Sehr zur Freude von Geoff Liersch, dem Chef des Geschäftsbereichs Two-Wheeler & Powersport. Nur wenige Kilometer von dem neuen Standort in Yokohama entfernt, befindet sich dessen Zentrale. Rund 240 Beschäftigte entwickeln dort unter anderem Fahrsicherheits- und Assistenzsysteme wie das ABS, die Motorrad-Stabilitätskontrolle MSC und radarbasierte Fahrerassistenzsysteme für den globalen Markt. „Wir sind der einzige Bosch-Geschäftsbereich mit der Zentrale außerhalb Deutschlands“, sagt Liersch, während er in der Werkstatt am Standort aufmerksam das Display eines Bikes betrachtet. „Das bietet große Chancen für unser Zweiradgeschäft. Wir befinden uns in unmittelbarer Nähe zu den großen Motoradherstellern und können ihre Anforderungen ideal bedienen.“
Der Geschäftsbereich hat sich seit seiner Gründung im Jahr 2015 sehr erfolgreich entwickelt: Von 2017 bis 2024 ist der Umsatz trotz eines volatilen wirtschaftlichen Umfelds im Durchschnitt um 12 Prozent gestiegen. Im selben Zeitraum hat der weltweite Motorradmarkt durchschnittlich nur um ein bis zwei Prozent zugelegt. Liersch nennt das Erfolgsrezept: „Mit unserem Know-how und unseren Lösungen sind wir der einzige Anbieter auf dem Markt, der die spezifischen Anforderungen unserer Kunden erfüllen kann.“
So stellte der Geschäftsbereich im Herbst 2024 sechs Fahrerassistenzfunktionen mit der neuen Generation von Radarsensoren vor, die das Motorradfahren noch sicherer und komfortabler machen. Und die Motorradfans dürften sich auf weitere Innovationen freuen: „Unser Ziel ist es, notwendige Sicherheitsfunktionen in Kombination mit Technologien, die Spaß machen, anzubieten“, sagt Liersch, der selbst in jungen Jahren auf der Farm seiner Eltern in Australien die Leidenschaft fürs Motorradfahren entdeckte. Mit Freude testet er noch heute gerne selbst Motorräder und will den Fortschritt vorantreiben. Seine Vision: Automatische, sichere Vollbremsungen sollen auch mit dem Motorrad möglich sein.
Enge Partner
Bei Kunden kommt die Innovationsstärke von Bosch sehr gut an. Seiichi Kai, Leiter der Motorradsparte von Kawasaki, tauscht sich am Standort mit einem Ingenieur von Bosch aus. „Wir arbeiten bereits seit vielen Jahren eng, vertrauensvoll und gut zusammen“, sagt er. „Das globale Motorradgeschäft von Bosch wird von Japan aus gesteuert, dadurch kennt das Unternehmen die Bedürfnisse und Anforderungen von lokalen Motorradherstellern, aber auch Endkunden sehr gut.“ Die große Stärke von Bosch sei es, für diese Anforderungen passgenaue Technologien und Lösungen zu entwickeln. Konzentriert beugt sich der Entwicklungschef über eine Kawasaki Z H2, ein Sportmotorrad, das für hohe Leistung und fortschrittliche Technologie steht. Es verfügt über zahlreiche Komponenten und Systeme von Bosch, darunter das ABS und die Stabilitätskontrolle, die mit verschiedenen Sensoren unterschiedliche Fahrmodi ermöglicht.
Die ABS-Einheit als Basis der Sicherheits- und Assistenzsysteme wird nicht in Yokohama, sondern in Tochigi gefertigt – genauso wie das elektronische Stabilitäts-Programm (ESP) und der elektromechanische Bremskraftverstärker iBooster. Von Tokio aus benötigt man mit dem Shinkansen, Japans Hochgeschwindigkeitszug und einem der fortschrittlichsten Zugnetze der Welt, rund zwei Stunden in die nördliche Region. Und steigt in einer komplett anderen Umgebung aus: sehr ländlich, inmitten traditioneller japanischer Einfamilienhäuser, umgeben vom Nikko-Gebirge.
Vorbildliche Fertigung
Die Produktionshallen des 1990 erbauten Werks vereinen Tradition mit Moderne: An alten Maschinen, die noch immer fehlerfrei funktionieren, fahren hochmoderne Roboter entlang und transportieren Produktionsteile direkt an die Fertigungslinien.
„Japan hat große Stärken in der Digitalisierung, Automatisierung und Robotik“, sagt Werkleiter Shingo Hasegawa, während er an der neuen Fertigungslinie des elektromechanischen Bremskraftverstärkers iBooster entlang geht. „Das zeigt sich auch in unserer Montage. Beispielsweise nutzen wir die am stärksten automatisierte iBooster-Produktionslinie bei Bosch weltweit“, erklärt er und beobachtet, wie der Roboter hinter der Glasscheibe Gehäuseteile des elektromechanischen Bremskraftverstärkers verschweißt.
Tochigi ist das Leitwerk für das Motorrad-ABS und unterstützt Werke in Indien und Thailand bei der Fertigungsplanung und den Prozessen. „Regelmäßig reisen unsere Ingenieurinnen und Ingenieure an andere Produktionsstätten, teilen ihr Wissen und unterstützen die Beschäftigten vor Ort“, führt Hasegawa aus. Die Werke in Japan sind für hohe Qualität und eine niedrige Fehlerquote bekannt. „Das liegt zum einen an der Disziplin, Motivation und Zuverlässigkeit der Beschäftigten“, unterstreicht der Ingenieur. „Und zum anderen am japanischen Gemba-Konzept zur kontinuierlichen Verbesserung“. Dabei gehe es darum, direkt vor Ort zu sein, Prozesse zu beobachten, Probleme zu identifizieren und Lösungen zu entwickeln. „Führungskräfte besuchen regelmäßig die Arbeitsplätze der Beschäftigten und schauen sich die Abläufe an. Sie sprechen offen miteinander und gewinnen so ein besseres Verständnis für Herausforderungen und Möglichkeiten“, führt Hasegawa aus.
Das Werk blickt auf eine lange Geschichte an Höhepunkten zurück. Dieses Jahr steht ein weiterer Meilenstein an: Derzeit läuft dort noch das ESP der Generation 9 vom Band – die Installation der neuen Fertigungslinie für das ESP 10 aus dem Leitwerk in Blaichach, Deutschland, beginnt im Juni. „Im Frühjahr 2026 werden wir hier die ersten Module der neuen ESP-Generation fertigen“, freut sich Hasegawa. Die hochmoderne, automatisierte Linie wird das Produktionsvolumen verdoppeln. Ingenieurinnen und Ingenieure bereiten sich bereits auf die Umstellung vor – und machen sich virtuell mithilfe von virtueller Realität (VR) mit der neuen Fertigungsumgebung vertraut.
Unterdessen geht über den schneebedeckten Gipfeln des Nikko-Gebirges die Sonne unter. Hier, in Tochigi, ist von der täglichen Hektik in Tokio, der bevölkerungsreichsten Stadt der Welt, nichts zu spüren. Einige Bosch-Teams machen sich nach einem langen Arbeitstag auf den Weg in die umliegenden gemütlichen Izakaya-Restaurants. Gemeinsam sitzen sie auf dem Boden und teilen sich rohen Fisch, Gemüse und Reis und trinken Sake, den traditionellen Reiswein. Auch das ist Japan.