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CEO-Blog

Innovation braucht Industrie

Porträt von Bosch-CEO Stefan Hartung. Im Hintergrund ist das Foto einer modernen Industrie 4.0-Halle zu sehen. Ein Mitarbeiter mit Tablet in der Hand lenkt mit der Bosch-Lösung Nexeed Industrial Application die Prozesse.

20.04.2023

Die Industrie liefert nicht nur immer neue Produkte, sondern auch Innovationen. Wenn wir die aktuellen Herausforderungen bewältigen wollen, brauchen wir diese technologischen Lösungen. Und wir brauchen mehr davon, nicht weniger.

von Stefan Hartung

Der Wandel, in dem sich nahezu alle Unternehmen befinden, ist grundlegend, herausfordernd und angesichts des Klimawandels auch alternativlos.

Stefan Hartung, Vorsitzender der Bosch Geschäftsführung

Als in diesen Tagen die Industrie der Welt auf der Hannover-Messe zusammenkam, drehte sich alles um den Schwerpunkt Transformation. Gut gewählt, möchte man sagen, denn selten zuvor war ein Leitthema so aktuell: Der Wandel, in dem sich nahezu alle Unternehmen befinden, ist grundlegend, herausfordernd und angesichts des Klimawandels auch alternativlos. Die Messe war gerade jetzt wichtig, weil sie eine ganz wesentliche Dimension der Industrie sichtbar machte, die manchmal hinter den traditionellen Klischeebildern von Kokereien, Raffinerien oder Stahlwerken verschwindet. Die Schwaden auf solchen Fotos verdecken nämlich einen entscheidenden Beitrag der Industrie zu unserem Wohlstand: die Innovationen.

Ein Bosch-Mitarbeiter stellt einen innovativen Recycling-Prozess für Batterien von Elektroautos vor.
Innovation von Bosch: Auf der Hannover Messe hat das Unternehmen spezielle Maschinen, Anlagen und Software für den Recyclingprozess von Elektrofahrzeugbatterien vorgestellt.

Große Innovationskraft der deutschen Industrie

Wenn man von der Bedeutung der Industrie für Deutschland spricht, geht es meistens um die rund 7,5 Millionen Menschen, die im verarbeitenden Gewerbe beschäftigt sind, oder es geht um den Anteil von gut 23 Prozent, den der Industriesektor zur Bruttowertschöpfung beiträgt. Die äußerst hohe Bedeutung der Industrie für die deutsche Innovationslandschaft aber wird eben nicht immer ausreichend thematisiert. In Hannover stand sie nun zumindest kurzzeitig im Vordergrund – und zwar völlig zu Recht. Beachtliche 86 Prozent aller Patentanmeldungen in Deutschland, so hat es das Institut der deutschen Wirtschaft ausgerechnet, stammen von Industrieunternehmen und eng verbundenen Dienstleistern. Dabei kommt allein schon der industrielle Kernsektor auf einen Anteil von mehr als 78 Prozent bei den Patentanmeldungen. Und dies, obwohl von allen Erwerbstätigen nur knapp jeder oder jede Vierte in der Industrie arbeitet.

86 %

aller Patentanmeldungen in Deutschland stammen von Industrieunternehmen und eng verbundenen Dienstleistern

Sind wir in der Industrie also besonders kreativ? Begnadete Erfinderinnen und Erfinder? Natürlich gibt es solche Menschen bei uns. Aber die innovative Welle wird vor allem von den erheblichen Vorleistungen angestoßen, die Industrieunternehmen in die Grundlagenarbeit stecken. Nach Angaben des Stifterverbandes für die deutsche Wissenschaft kommen von den 98,5 Milliarden Euro, die Unternehmen 2019 insgesamt in Forschung und Entwicklung investiert haben, gut 85 Milliarden Euro aus dem verarbeitenden Gewerbe, der größte Anteil davon übrigens aus dem Kraftfahrzeugbau.

Notwendige Vorleistungen in Milliardenhöhe

Ein Forscher hält einen Bosch-Wafer im Reinraum der Wafer-Fab in Dresden in den Händen.

Natürlich verteilen die Unternehmen nicht aus purer Freude an der Forschung so viel Geld an ihre Entwicklungsabteilungen. Sondern weil sie genau wissen, dass eine kostenintensive Industrie, wie es die deutsche nun einmal ist, ihren Erfolg nur durch Produkte und Prozesse sichern kann, die zur absoluten Weltspitze gehören. Damit wir bei Bosch in unserer Chipfabrik in Dresden demnächst als eines der ersten Unternehmen Sensoren für mikroelektromechanische Systeme auch auf 300-Millimetern-Wafern fertigen können, sind Vorleistungen in Milliardenhöhe notwendig. Aber nur so lassen sich modernste Verfahren etablieren, mit denen die europäische Halbleiterbranche auch in einigen Jahren noch wettbewerbsfähig sein wird.

Diese Innovationskraft ist nun nötiger denn je. Wenn wir unsere Wirtschaft, unsere Mobilität, unseren Alltag klimaneutral ausrichten wollen, brauchen wir dafür mehr technische Lösungen, und nicht weniger. Die Industrie, das wissen wir alle, hat in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur zum Wohlstand, sondern auch zum Klimawandel beigetragen. Jetzt aber kann sie von einem Teil des Problems zu einem Teil der Lösung zu werden. Dabei ist vieles bereits erreicht worden: Ob Wärmepumpe oder Windkraft, ob Brennstoffzelle oder Biomasse – nachhaltiges Leben im 21. Jahrhundert ist ohne industrielle Prozesse und Produkte nicht denkbar. Aber: Um diese Transformation weiter zu beschleunigen, um Geld für die notwendigen Investitionen zu haben, brauchen wir Wachstum. Leider jedoch blüht auch die grünste Wirtschaft nicht von allein. Womit wir wieder bei den Innovationen wären, denn bekanntlich treibt kaum etwas einen anstehenden Strukturwandel so effizient an wie technischer Fortschritt.

Zwei Bosch-Mitarbeitende arbeiten am Stack einer mobilen Brennstoffzelle

Verlieren wir unseren Vorsprung?

Insofern ist es besorgniserregend, wenn das Europäische Patentamt in seiner jüngsten Übersicht feststellt, dass die Zahl der Meldungen aus Deutschland auf den tiefsten Stand seit mehr als einem Jahrzehnt gefallen ist. Oder wenn die Kreditanstalt für Wiederaufbau seit Jahren sinkende Innovationsaktivitäten im Mittelstand meldet. Das sind keine guten Zeichen. Verlieren wir unseren Vorsprung? Ausgerechnet jetzt, mitten im Wandel? Die Diskussion darüber hat längst begonnen, und manche Schwarzmaler sehen die deutsche Industrie schon wegbröckeln wie die Autobahnbrücken auf der Sauerlandlinie. Tatsächlich bauen deutsche Unternehmen, auch Bosch, nicht nur Produktionslinien im Ausland auf, sondern auch Forschungslabore. Das ergibt sich allein schon aus der notwendigen Nähe zu Kunden und Märkten. Aber daraus einen industriellen Exodus zu stricken, ist meines Erachtens übertrieben.

20 %

wird der Green Tech-Bereich schon 2025 voraussichtlich zum Bruttoinlandprodukt beitragen

Natürlich wird sich die Industrie massiv ändern. Aber sie muss nicht zwangsläufig auch dramatisch schrumpfen. Ja, der ein oder andere besonders energieintensive Betrieb wird demnächst vielleicht dorthin gehen, wo grüner Strom oder grüner Wasserstoff leichter zu haben sind als unter unserem grauen Himmel. Andererseits aber – und das ist nur ein Beispiel – wird der Preisdruck dazu führen, dass viele Unternehmen noch effizientere Verfahren entwickeln werden. Und daraus ergeben sich dann wieder Chancen. Die Bundesregierung jedenfalls geht davon aus, dass der GreenTech-Bereich schon 2025 fast ein Fünftel zum Bruttoinlandsprodukt beitragen wird. Die große Transformation aber wird nur dann erfolgreich sein, wenn wir den Weg zum gemeinsamen Ziel Klimaschutz weitgehend dem Markt überlassen. Nichts würgt Innovationen so zuverlässig ab wie ein überzogener Dirigismus.

Es muss uns gelingen, Strom aus erneuerbaren Energien zu erträglichen Preisen anzubieten, die digitale Infrastruktur erheblich auszubauen, bürokratische Prozesse zu verschlanken und den europäischen Zusammenhalt zu stärken.

Stefan Hartung, Vorsitzender der Bosch Geschäftsführung

Innovationen sorgen für mehr Effizienz und Nachhaltigkeit

Ein Bosch-Mitarbeiter arbeitet mit einem Industrial Application System.

Wir werden also in zehn, zwölf Jahren eine andere Wirtschaft in Deutschland sehen. Ob diese schwächer oder kraftvoller als heute sein wird, hängt von den bekannten Faktoren ab: Es muss uns gelingen, Strom aus erneuerbaren Energien zu erträglichen Preisen anzubieten, die digitale Infrastruktur erheblich auszubauen, bürokratische Prozesse zu verschlanken und den europäischen Zusammenhalt zu stärken. Vor allem aber sollten wir uns endlich auf eine koordinierte Einwanderungs- und Bildungspolitik verständigen. Denn schließlich entsteht jeder technische Fortschritt erst durch all jene klugen Frauen und Männer, die das menschliche Streben nach ständiger Verbesserung zu ihrem Beruf gemacht haben. Und selbstverständlich braucht jede Innovation auch Fachkräfte, die die Technik dann umsetzen: ohne Elektriker kein Strom – da nützt auch das modernste Kraftwerk nichts.

Die oben angesprochenen Bilder von Industrielandschaften sind übrigens oft menschenleer. Das spiegelt die wahren Verhältnisse noch viel weniger wider als die ewig rauchenden Schlote. In unseren Fabriken und Anlagen arbeiten Millionen von Menschen, um Millionen anderer Menschen mit Gütern und Energie zu versorgen. Und Innovationen sorgen dafür, dass dieser Prozess zunehmend effizienter, nachhaltiger und vorteilhafter abläuft. Es wird also Zeit, dass wir die Schwaden nicht nur aus der Luft, sondern auch aus den Köpfen kriegen. Sie vernebeln nur den Blick auf die Zukunft.

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