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Carlo Ratti

Wie intelligent wird die Mobilität der Zukunft?

Im Gespräch mit dem Leiter des „Senseable City Lab“ am MIT und Direktor des Design- und Innovationsbüros CRA

Wie wird die Mobilität der Zukunft unsere Städte verändern? Fliegende Autos hält Carlo Ratti, Ingenieur und Architekt, für unwahrscheinlich. Vielmehr werde die urbane Mobilität durch Carsharing, autonome Fahrzeuge und smarte Straßen revolutioniert.

„Privatfahrzeuge stehen 95 Prozent ihrer Zeit – wenn nicht auf Parkplätzen, dann im Stau“, beschreibt Carlo Ratti die ineffiziente Pkw-Nutzung weltweit. Der Ingenieur, Architekt und Leiter des „Senseable City Lab“ am Massachusetts Institute of Technology (MIT), sieht die Lösung in Carsharing-Konzepten, deren Bedeutung mit dem Aufkommen automatisierter Fahrzeuge exponentiell wachsen wird: „Teilt man sich ein Auto, kann das zehn bis 30 andere ersetzen.“ Ratti beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, wie die Mobilität der Zukunft unser städtisches Leben verändern wird.

„Theoretisch könnten wir den Mobilitätsbedarf einer Großstadt mit nur einem Bruchteil der Autos, die wir heute haben, decken.“
Carlo Ratti

Nachhaltiges Mobilitätskonzept

Autonome Fahrzeuge werden die urbane Mobilität revolutionieren, so Ratti: „Durch sie verschwimmen die Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Transport. ‚Ihr‘ Auto könnte Sie morgens zur Arbeit fahren und dann über den Rest des Tages Familienmitglieder, Nachbarn oder jemanden aus Ihrer Social-Media-Community mitnehmen.“

Eine Smart Road, auf der Autos fahren. Darüber schwebt eine Drohne, im Hintergrund fliegt ein Heißluftballon.
Foto: © CRA

Carsharing und autonome Fahrzeuge bedeuten: weniger Autos und damit mehr Platz, der anderweitig genutzt werden könnte. Nicht nur auf den Straßen: „Für jedes Auto in den USA gibt es circa drei Parkplätze – die privaten am Haus nicht einberechnet. In Summe sind das rund 13.000 Quadratkilometer. Das entspricht einer Fläche größer als Puerto Rico.“ Ob Spielplatz oder Urban Gardening – beim Umfunktionieren solcher freier Flächen sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt.

Internet of Roads

Dass bald auch die Straße mitdenken wird, zeigt das Projekt „Smart Roads“, das auf rund 2.500 Kilometern Strecke in Italien umgesetzt werden soll. Entwickelt wurde das Konzept von der italienischen Infrastrukturgesellschaft „ANAS“ und Carlo Rattis Design- und Innovationsbüro „CRA-Carlo Ratti Associati“. Das Ziel der Zusammenarbeit: das Verkehrsmanagement und die Sicherheitsbedingungen auf den Straßen verbessern. „Wir wollen eine digitale Schicht über die bestehende physische Infrastruktur des Straßennetzes legen, um Big Data effizient auszutauschen“, erklärt Ratti.

Auf den smarten Straßen überwachen Drohnen den Verkehr und die nähere Umgebung, im Notfall können sie Erste-Hilfe-Sets an den Unfallort bringen. Dabei bekommen sie Unterstützung von intelligenten Masten, die den Drohnen als Ladestation dienen, deren Informationen bündeln und sensorgestützt Umgebungsdaten, wie die Luftverschmutzung, Windgeschwindigkeit oder Wetterveränderungen, ermitteln. Diese werden an die Smartphones oder Bordnavigationssysteme der heutigen Fahrer sowie die automatisierten Fahrzeuge von morgen gesendet. Außerdem versorgen sie die Fahrer in Echtzeit mit personalisierten Informationen. Dazu gehört etwa die aktuelle Verkehrslage oder der Zustand der Straße, die der Fahrer als nächstes befahren möchte. Der nächste Schritt hin zu einem „Internet of Roads“-Szenario wird sein, diese Daten mit Informationen zu koppeln, die von den Fahrzeugen selbst gesammelt und an die Masten übermittelt werden. Ein in die Masten integriertes WiFi-System stellt sicher, dass jeder unterwegs online bleibt.

Eine vernetzte, befahrene Smart Road von oben. Über ihr schweben Drohnen. Die Fahrzeuge sind in Bewegung und verschwommen.
Foto: © CRA

Flexibler werden

Die Infrastruktur wird sich laut Ratti in ihren Grundzügen nicht verändern. Was sich dagegen dramatisch wandeln wird, ist das urbane Leben: „Die digitale und die physische Welt verschmelzen – ein völlig neues Erleben der Stadt.“ Dabei geht es vor allem um Flexibilität und Nutzerorientierung. Als aktuelles Beispiel nennt Ratti das Straßenprojekt „Dynamic Street“. Ein Prototyp, den Ratti und Kollegen gemeinsam mit „Sidewalk Labs“, einem Start-up des Google-Mutterkonzerns Alphabet, entwickelt haben.

Die dynamische Straße passt sich dank eines IoT-Systems in Echtzeit an ihre Nutzer an: „Eine Straße, auf der morgens selbstfahrende Autos fahren, nachmittags Kinder spielen und die am Wochenende zum Basketballcourt wird“, beschreibt Ratti das Konzept. Lichtsignale dienen als Markierung für Parkflächen und Fahrspuren. So kann beispielsweise während der Rush-hour eine Zusatzspur entstehen, die abends wieder verschwindet.

Eine Frage der Finanzierung

Doch neue Technologien bringen auch Herausforderungen mit sich: „Autonome Fahrzeuge könnten zu einem unfairen Wettbewerbsvorteil führen. Die Kosten für einen Kilometer könnten so stark sinken, dass die Menschen lieber in selbstfahrenden Autos statt mit der Bahn fahren.“ Das Ergebnis: doch wieder mehr Autos auf unseren Straßen.

Eine Smart Road von oben, ein intelligenter Mast, eine Drohne und ein fahrendes Auto.
Foto: © CRA

Abhilfe schaffen könnten die Versteuerung der individuellen Mobilität und Subventionen für den öffentlichen Verkehr. Das wirft jedoch komplexe Finanzierungsfragen auf: „Als Einnahmequelle sehe ich dynamische Road Pricing-Systeme wie in Singapur“, erklärt Ratti – also Bezahlstellen in stark befahrenen Bereichen. Mithilfe integrierter Chipkarten im Fahrzeug bezahlt der Fahrer eine Maut, die je nach Tageszeit und Verkehr variiert. Die Ergebnisse sind positiv: weniger Staus und eine effizientere Straßennutzung. Generell betont Ratti: Nicht nur auf das Auto setzen, sondern auf intermodalen Verkehr. Das heißt, verschiedene Fortbewegungsmittel – etwa E-Scooter-Dienste, öffentliche Verkehrsmittel oder E-Bike-Sharing – effizient zu kombinieren.

Nicht abheben

Flugtaxis spielen in Rattis Vision jedoch keine Rolle: „‘Fliegende Autos‘ gibt es zwar in Filmen wie Metropolis oder Blade Runner und inzwischen auch in der Vorstellung von Investoren, ich denke aber, dass allein schon Fahrzeuge auf den Straßen gefährlich sind. Stellen Sie sich vor, wie das in der Luft aussähe. Meiner Meinung nach sollten wir in Sachen Transport am Boden bleiben.“

Im Fokus

Carlo Ratti halbnah

Carlo Ratti

Leiter des „Senseable City Lab“ am MIT sowie des Design- und Innovationsbüros „Carlo Ratti Associati“ in New York und Turin

Wir wollen eine digitale Schicht über die bestehende physische Infrastruktur des Straßennetzes legen, um Big Data effizient auszutauschen.

Carlo Ratti ist Architekt und Ingenieur, sein Studium schloss er an der École Nationale des Ponts et Chaussées in Paris und der Politecnico di Torino ab. 2001 promovierte er in Architektur an der Universität Cambridge, seit 2003 leitet er das „Senseable City Lab“ am Massachusetts Institute of Technology (MIT), eine Forschungseinrichtung, die sich unter anderem damit befasst, wie digitale Technologien das Leben der Menschen verändern werden. Außerdem ist er Leiter des Design- und Innovationsbüros „Carlo Ratti Associati“ in New York und Turin.

Foto: © Brendan Zhang

Fazit

Die Stadt der Zukunft ist flexibel und passt sich dank Big Data an ihre Einwohner an, so Carlo Ratti. Er ist überzeugt: Wenn die digitale und die physische Welt verschmelzen, kann das die urbane Mobilität und das Stadtleben revolutionieren.

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