Bremsen neu gedacht
Brake-by-Wire im extremen Einsatz am Polarkreis
Die Bremse zählt zu den ersten und bis heute wichtigsten Sicherheitskomponenten in einem Fahrzeug. Bosch entwickelte ihre Funktionalität seit der Einführung der Servobremse 1927 stetig weiter. Weitere revolutionäre Meilensteine setzten die Bosch-Ingenieure mit dem Antiblockiersystem (ABS) und dem elektronischen Stabilitäts-Programm (ESP®). Der nächste technologische Quantensprung „Brake-by-Wire“ steht kurz vor der Markteinführung. Aber wie verhält sich das System bei Schnee, Eis und bis zu minus 25 Grad? Bosch-Entwickler machen den Härtetest nahe dem Polarkreis.
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High-Tech maßgeblich entwickelt in Abstatt
„Während traditionelle Bremssysteme eine mechanische Verbindung zwischen Bremspedal und Bremssystem haben, entfällt diese komplett bei unserem Brake-by-Wire-System. Der Bremswunsch des Fahrers wird rein als elektrisches Signal über redundante, das heißt voneinander unabhängige, Signalleitungen übertragen“, berichtet Hagen Kuckert über die Innovation aus Abstatt. Für diesen grundlegend neuen Ansatz bietet Bosch eine robuste und effiziente Lösung bestehend aus zwei hydraulischen Bremsaktuatoren – dem By-Wire-Bremsaktuator und ESP®. Kuckert ist Projektleiter für den By-Wire-Bremsaktuator und arbeitet eng zusammen mit einem rund 60-köpfigen Kernteam, das über Abstatt hinaus international verteilt ist. Und dabei schnell und agil arbeitete: Die Entwicklung erforderte gerade einmal rund drei Jahre. Dass Brake-by-Wire die Zukunft der Bremssysteme ist, davon ist er überzeugt: „Wir rechnen damit, dass schon im Jahr 2030 mehr als 5,5 Millionen Fahrzeuge weltweit mit Brake-by-Wire ausgestattet sein werden.“
Wir rechnen damit, dass schon im Jahr 2030 mehr als 5,5 Millionen Fahrzeuge weltweit mit Brake-by-Wire ausgestattet sein werden.
Flexibler, leichter, sicherer: Die Vorteile von Brake-by-Wire
Der wesentliche Vorteil von Brake-by-Wire: Mehr Flexibilität beim Einbau und neue Gestaltungsmöglichkeiten im Innenraum. Durch den Entfall der mechanischen Verbindung besteht keine Notwendigkeit mehr, die Bremssystem-Komponenten an der Spritzwand des Fahrzeuges zu montieren. Stattdessen können die Bremskomponenten nun dort eingebaut werden, wo es im Hinblick auf Crash-Sicherheit, Geräuschentwicklung und Montage am sinnvollsten ist.
„Bosch ist einer der führenden Anbieter auf dem Markt, der mit seiner Brake-by-Wire-Lösung diesen Vorteil der Flexibilität bietet“, erläutert Hagen Kuckert. Die Auswahlmöglichkeit, wo die Bremsaktuatorik eingebaut werden kann, macht Varianten für Rechts- und Linkslenkerfahrzeuge überflüssig.
Durch das schlanke Design lässt sich sowohl Bauraum einsparen als auch das Gewicht des Bremssystems reduzieren. Bis zu 25 Prozent Gewichtersparnis gegenüber herkömmlichen redundanten Bremssystemen sind dadurch möglich. Da sowohl der By-Wire-Bremsaktuator als auch das ESP® jeweils unterschiedlichen Kanälen des redundanten Bordnetzes zugeordnet sind, können sie im Fehlerfall jeweils unabhängig voneinander den erforderlichen Bremsdruck an allen vier Radbremsen aufbauen. Die Bosch-Lösung ist somit auch für hochautomatisierte Fahrzeuge geeignet, da sie die aus Sicherheitsgründen erforderliche Absicherung des Bremssystems erfüllt.
Zudem leistet Bosch einmal mehr einen Beitrag zur Vermeidung von Verletzungen bei Unfällen. Durch den crashoptimierten Einbau aller Bremskomponenten und neue Pedalkonzepte ohne mechanische Verbindung zum Bremssystem können insbesondere Fußverletzungen reduziert werden.
Und wie fühlt sich Brake-by-Wire für den Fahrzeugnutzer an? „Am Bremserlebnis und der Sicherheit ändert sich nichts – ganz im Sinne der Fahrerinnen und Fahrer“, ergänzt Projektleiter Kuckert. Aber gilt das auch unter realen Bedingungen im Stadtverkehr oder auf einer Landstraße? Antworten lieferte ein Härtetest fast genau drei Jahre nach Projektstart im Dezember 2024, als es von der Teststrecke auf die öffentliche Straße samt offizieller Zulassung ging.
Von Abstatt nach Schweden – mit einem Abstecher an den Polarkreis
Hier kommt Uwe Ongert ins Spiel. Der Systemintegrator ist sozusagen der Geburtshelfer des Brake-by-Wire-Systems und seit Projektbeginn mit dabei. Was in der Theorie funktioniert, überführt er in die Praxis. „Von der Teststrecke ab nach Schweden, das war definitiv mein persönliches Highlight im Projekt bisher“, berichtet Ongert. Ende letzten Jahres machte er sich mit einem kleinen Team auf den Weg von Abstatt in Süddeutschland nach Schweden. 3 300 Kilometer über unterschiedliche Fahrbahnbedingungen: Landstraßen, Autobahn und Stadtverkehr – mit einem Abstecher an den Polarkreis. Nach sechs Tagen erreichte das Testfahrzeug das Bosch-Wintertestzentrum Vaitoudden im nordschwedischen Arjeplog. Aber kann sich das System auch bei härtesten Bedingungen im winterlichen Schweden und extremen Temperaturen bewähren?
Feedback der Kunden ist essenziell für eine erfolgreiche Markteinführung
Die Bedingungen nahe dem Polarkreis sind perfekt, um Brake-by-Wire auf Herz und Nieren zu testen. „Wir sind im Wechsel zwei Wochen in Schweden und eine Woche in Abstatt während der Wintersaison. Die Tage sind lang und intensiv, aber durch die enge Zusammenarbeit mit dem Bosch-Team und Kunden machen wir riesige Fortschritte in kürzester Zeit“, erzählt Ongert. Ihm ist die Begeisterung für das System, seinen Job und die Testfahrten anzumerken – Technik fürs Leben, die auch Kunden begeistert. „Probieren geht über studieren. Daher freut es uns sehr, dass unsere Kunden das System hier in Schweden selbst testen können. Das Feedback fließt wiederum direkt in die Weiterentwicklung ein“, fasst der Systemintegrator den Mehrwert der Tests in Arjeplog zusammen. Für Ongert sind es die letzten Testtage in diesem Winter für das Projekt im kalten Schweden: „Ich bin sehr stolz, dass wir noch diesem Jahr in Serienproduktion gehen.“
Erste Kunden bereits an Bord – ab Herbst 2025 im Einsatz auf der Straße
Für Herbst 2025 ist die Markteinführung des hydraulischen Brake-by-Wire-Systems von Bosch geplant. Aufträge von Fahrzeugherstellern aus Europa und Asien liegen bereits vor. Neben der hydraulischen Lösung entwickelt Bosch zudem ein rein elektromechanisches System.
Hagen Kuckert und Uwe Ongert sind sich jedenfalls einig: Brake-by-Wire ist eine wichtige Komponente für Software-definierte Mobilität und automatisiertes Fahren ab Level 3 aufwärts. Und damit die Lösung der Zukunft – egal ob im kalten Schweden, schwäbischen Abstatt oder überall sonst auf der Welt.
Testzentrum nahe dem Polarkreis
Versuche unter extremen Bedingungen waren schon immer entscheidend für eine erfolgreiche Markteinführung. Dies galt auch für das Antiblockiersystem (ABS), das bei Bosch seit 1969 entwickelt wurde und bei allen Temperaturen zuverlässig funktionieren musste. Die Nutzung öffentlicher Straßen stellte sich jedoch schnell als problematisch heraus: Um die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer nicht zu gefährden, durften die Teststrecken nicht präpariert werden, was eigentlich erforderlich gewesen wäre.
In den frühen 1970er Jahren fand Bosch schließlich die Lösung: einen zugefrorenen See in der Nähe der nordschwedischen Gemeinde Arjeplog. Dort konnten die Entwickler ihre Testfahrten auf der dicken Eisschicht durchführen, ohne eine Gefahr für andere darzustellen. Die Fahrer mussten lediglich darauf achten, dass sich die Fahrzeuge nicht in die Quere kamen.
Im Jahr 2003 errichtete Bosch ein größeres Testzentrum auf der Halbinsel Vaitoudden, etwa 60 Kilometer südlich des Polarkreises, in der Nähe von Arjeplog. Auf einer Fläche, die fast 600 Fußballfeldern entspricht, werden bis heute in den Wintermonaten vor allem moderne Bremsregelsysteme von Bosch unter extremen Kälte- und Frostbedingungen getestet. Die Umgebung ist nach wie vor die gleiche wie damals, doch die Technologien haben sich erheblich weiterentwickelt: Heute werden die Bremssystem-Parameter für Testfahrten bequem mit einem Laptop angepasst, während die Ingenieure vor 50 Jahren dafür noch einen Lötkolben verwendeten.
30 Jahre ESP®
Eine Erfolgsgeschichte
Das elektronische Stabilitäts-Programm (ESP®) von Bosch ist eine beeindruckende Erfolgsgeschichte, die nunmehr seit 30 Jahren andauert. Seit seiner Markteinführung im Jahr 1995 hat Bosch weltweit über 350 Millionen Einheiten dieses innovativen Systems verkauft. Diese Zahl verdeutlicht nicht nur die hohe Akzeptanz und das Vertrauen der Verbraucher in die Technologie, sondern auch die entscheidende Rolle, die ESP® in der Automobilindustrie spielt.
Besonders bemerkenswert sind die Auswirkungen, die ESP® auf die Verkehrssicherheit hat. Laut Berechnungen der Bosch-Unfallforschung hat das System allein in der Europäischen Union und im Vereinigten Königreich in den vergangenen drei Jahrzehnten mehr als 22 000 Menschenleben gerettet und nahezu 750 000 Unfälle mit Personenschaden verhindert. Diese beeindruckenden Statistiken unterstreichen die Bedeutung von ESP® als unverzichtbare Sicherheitsmaßnahme in modernen Fahrzeugen.
Die Technologie hat nicht nur dazu beigetragen, die Sicherheit der Fahrzeuginsassen zu erhöhen, sondern auch das Vertrauen der Menschen in das Autofahren insgesamt gestärkt. Mit jeder verkauften Einheit und jedem verhinderten Unfall wird die Erfolgsgeschichte von ESP® weitergeschrieben, und Bosch bleibt an der Spitze der Entwicklung innovativer Lösungen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit.