„Wer nicht lernt, bleibt analog.“
18.12.2017
Nie waren höhere Bildungsinvestitionen so notwendig wie in Zeiten der Digitalisierung.
Ein Appell an Politik, Wirtschaft und jeden Einzelnen.
Von Dr. Volkmar Denner
Die modernen Zeiten haben einen neuen Namen, die Digitalisierung. Wir springen zu kurz, wenn wir darin bloß ein technisches Phänomen mit wirtschaftlichen Folgen sehen. Denn zugleich stellt sich eine neue soziale Frage. Wie schaffen wir es, einen „digital divide“ unserer Gesellschaft zu verhindern? Zwar muss nicht jeder ein Software-Spezialist sein. Wie aber gelingt es, möglichst viele Menschen zu einer aufgeklärten Teilhabe an der vernetzten Datenwelt zu befähigen? Das Thema Bildung, viel zu oft ein Schönwetter-Thema in der öffentlichen Debatte, gewinnt in Zeiten der Digitalisierung an Dramatik. Wir alle müssen das Lernen unternehmen – wer nicht lernt, bleibt analog.
Alle reden von Bildung, aber nur für die anderen
Von Bildung reden zwar alle. Aber Bildung, so hat es leider oft den Anschein, ist etwas für die anderen. Nirgends liegen Anspruch und Wirklichkeit so sehr auseinander wie dort, wo es um die beste aller Zukunftsinvestitionen geht. Das ist in der Politik so, das ist, wenn wir ehrlich sind, im eigenen Berufsleben nicht viel anders.
Nach Bildungsausgaben ist Deutschland bloß Mittelmaß
Mehr hochqualifizierten Nachwuchs braucht das Land, um im internationalen Wettbewerb Spitze zu bleiben, sagen wir. Bildung, so denken wir hinzu, ist der entscheidende Rohstoff in einem Land wie Deutschland. Tatsächlich aber liegt auch dieses Land seit Jahren nur im Mittelfeld der Industrieländer, wenn es um den Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt geht.
4 Minuten täglich, die Realität des lebenslangen Lernens
Lebenslanges Lernen ist notwendig, sagen wir, um auch ganz persönlich im beruflichen Wandel zu bestehen. Doch die Wahrheit ist, dass die 30- bis 44jährigen im Schnitt gerade mal neun Minuten am Tag für ihre eigene Fortbildung aufbringen können, die 45- bis 64jährigen sogar nur vier Minuten.
Die digitale Grundbildung muss in den Schulen stattfinden
In diesem schwierigen Umfeld müssen Unternehmen wie Bosch ihr Know-how erweitern, sei es für das Internet der Dinge, sei es für die künstliche Intelligenz. Wir fordern von der Politik, dass Bildung mehr ist als ein schönes Wort, aber darauf können wir nicht warten. Auch ein erfolgreiches Unternehmen muss mehr als bisher das Lernen unternehmen, es muss sich als „learning company“ verstehen. Doch eins nach dem anderen. Mehr private und unternehmerische Initiative ist vor allem für die Weiterbildung notwendig, die digitale Grundbildung jedoch bleibt Aufgabe der Schulen – wir dürfen also die Politik nicht aus ihrer Verantwortung für das Plus an Bildungsinvestitionen entlassen.
Mehr Bildung, mehr Beschäftigung – worauf wartet die Politik?
Wie aber solche Investitionen durchsetzen, noch dazu gegen den Spar- und Schuldendruck in vielen Ländern? Da hilft eine Studie, die von der Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gegeben worden ist. Danach erzielen die Ausgaben für Bildung die höchste Rendite unter allen öffentlichen Investitionen. Schon nach wenigen Jahren erzielen sie einen Mehrfachnutzen: höheres Wachstum, mehr Chancengleichheit, weniger Arbeitslosigkeit. Und damit werden sie schließlich fiskalisch effizient, denn langfristig erzeugen sie einen höheren Rückgang der Staatsschulden als ein sofortiger Schuldenabbau. Stabile Staatsfinanzen und Investitionen in die Zukunft müssen kein Widerspruch sein, betonen die Autoren der Studie. Worauf also wartet die Politik noch, um endlich ernst zu machen mit der schon so lange verkündeten Vorfahrt für die Bildung.
Bildung geht uns persönlich an – auch den CEO von Bosch
Umgekehrt wäre es zu einfach, Bildung bloß als Regierungsthema zu betrachten, sie also möglichst weit von der eigenen Anstrengung wegzuschieben. Denn das Lernen geht uns nicht bloß politisch, es geht uns persönlich an. Und es ist mehr als eine Herausforderung für unsere Kinder. Auch und gerade wer es zu etwas gebracht hat, darf sich in der digitalen Welt nicht den Luxus leisten, nichts mehr lernen zu wollen. Für mich als CEO von Bosch bedeutet dies: nach wie vor Fachbücher lesen, auch Online-Kurse absolvieren, nicht nur mit Geschäftspartnern, vielmehr auch mit Wissenschaftlern und unseren eigenen Experten sprechen. Und sprechen heißt: fragen, zuhören, lernen. Ich könnte auch sagen: Je erfolgreicher das Unternehmen, desto sensibler müssen seine Führungskräfte für Veränderungen sein, desto mehr ihre Neugier bewahren. Und vor allem müssen sie diese Neugier der ganzen Mannschaft vermitteln – das ist meine tiefste Überzeugung.
Mehr als Volkshochschule – das Konzept der „learning company“
Zugegeben, nicht jeder Mitarbeiter hat übers Arbeiten hinaus zu jeder Zeit noch Kraft fürs Lernen. Umso wichtiger, Arbeiten und Lernen als Einheit zu verstehen, beides zusammenzubringen. Das geht nur, wenn die Weiterbildung nicht länger wie eine Volkshochschule im Unternehmen begriffen wird – hin und wieder ein Seminar, und danach geht’s wie gehabt weiter. Das Konzept der „Learning Company“ bei Bosch meint mehr: dass Weiterbildung integraler Bestandteil der Firmenstrategie wird. Ohne sie wird solch eine Strategie nicht Realität. Wir wollen, ja wir müssen unsere Mannschaft auf dem Weg in neue Geschäftsfelder wie Elektromobilität oder Vernetzung mitnehmen – und mitnehmen, das heißt qualifizieren. Und weil auch die Mitarbeiter eine Verantwortung für ihre Qualifikation haben, können sie sich je nach Bedarf am Arbeitsplatz selbst auf den Weg machen.
Neue Lernforen in sozialen Medien – Beispiel „working out loud“
Vor diesem Hintergrund entstehen in unseren sozialen Medien gerade neue Foren für das selbstorganisiertes Lernen. Beispiel „Working out loud“ – je fünf Mitarbeiter, die sich über drei Monate jeweils einmal in der Woche virtuell treffen, um ihr Wissen über ein selbstgewähltes Thema zu vertiefen. Schon jetzt gibt es mehr als 200 solcher Lernzirkel bei Bosch – Tendenz stark steigend. Initiativen wie diese deuten an, welche Dynamik aus dem digitalen Lernen hervorgehen kann. Entscheidend ist die „Learnagility“, die Fähigkeit, über Bereichs- und Ländergrenzen hinweg schnell und effizient Wissen zu generieren und dann auch zu teilen. Diese Art der Agilität ist unabdingbar in einem Unternehmen, das in der größten Transformation seiner Geschichte steckt.
Und ganz gezielt entwickeln wir unsere Entwickler
Noch bekommt Bosch genügend Software-Ingenieure, um sich möglichst an die Spitze des Megatrends zur vernetzten Welt zu setzen. In Zukunft jedoch wird sich der Fachkräfte-Bedarf nicht allein durch Neueinstellungen decken lassen. Was liegt da näher, als gezielt die eigenen Entwickler zu entwickeln? So können wir zum Beispiel mit intensiven Qualifikationsprogrammen die Software-Kompetenz der Maschinenbauer erweitern. Was für ein Unternehmen eine technische und wirtschaftliche Notwendigkeit ist, stiftet nicht zuletzt gesellschaftlich Sinn. Internet der Dinge, Sensorik und Robotik, künstliche Intelligenz – der technologische Wandel ist so rasant, dass wir achtgeben müssen, dass weite Teile der Bevölkerung davon nicht abgehängt werden. In Zeiten der digitalen Vernetzung ist Bildung der Schlüssel, um eine neue Spaltung der Gesellschaft zu verhindern. Mehr denn je setzt Wohlstand für alle Wissen für alle voraus.