Die Talentschmiede
Wie Bosch die klügsten Köpfe ausbildet
Im Wettbewerb um die besten digitalen Talente gründet Bosch die „Digital Talent Academy“ in Brasilien. Junge Menschen werden hier in Themen wie Softwareentwicklung und Künstliche Intelligenz ausgebildet. Für viele ist das ein bedeutender Schritt in ein anderes Leben.
Der rote Schriftzug ist bereits von der Autobahn zu erkennen. In großen Lettern prangt BOSCH am Hauptgebäude des Standorts Campinas in Brasilien. Schon oft ist Nicolly Cristina Cruz Storoni mit ihrer Mutter daran vorbeigefahren. Dass sie selbst einmal für das Unternehmen mit dem roten Logo arbeiten würde, hätte Nicolly nie für möglich gehalten. Doch vor zwei Jahren ging der Wunsch überraschend in Erfüllung. Die damals 17-Jährige bewarb sich im Juli 2021 auf einen Platz an der neugegründeten „Digital Talent Academy“ (DTA) von Bosch in Campinas und setzte sich gegen mehr als 2 000 Bewerberinnen und Bewerber durch. Damit gehörte sie zu den 18 Besten, die in dieser Bewerbungsrunde einen Platz ergatterten.
Mein größter Wunsch ist es, meinen Abschluss zu machen, eine eigene Wohnung und ein Auto zu kaufen und mich in meinem Beruf weiterzuentwickeln.
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Die DTA ging im Januar 2021 erstmals an den Start. Das Ziel: junge, talentierte Nachwuchskräfte in digitalen Kompetenzen ausbilden. Diese reichen von der intelligenten Prozessautomatisierung über Künstliche Intelligenz und Datenanalyse bis hin zur Entwicklung von Software. „Wir haben den großen Bedarf an digitalen Kompetenzen bei Bosch gesehen“, erklärt Johnny Palma, der die Idee zur digitalen Talentschmiede hatte. „Also habe ich mit Henrique Dona, der die technischen Trainings in Campinas verantwortet, ein eigenes Ausbildungsprogramm erarbeitet.“ Hierfür kooperiert die DTA mit der technischen Schule SENAI (National Industrial Apprenticeship Service) in Campinas. Der große Theorieteil findet bei SENAI statt, während der fachspezifische und praxisnahe Teil bei Bosch absolviert wird.
Was in Ländern wie Deutschland bereits als duale Ausbildung etabliert ist, gilt in Brasilien als einzigartig. Hier gibt es nur die Möglichkeit, sofern man die finanziellen Möglichkeiten hat, ein Studium aufzunehmen oder eine Ausbildung anzufangen. Letzteres hat in Brasilien aber eher einen schulischen Charakter und ist wenig praxisnah.
Sprungbrett in ein besseres Leben
Für viele junge Brasilianerinnen und Brasilianer ist die DTA deshalb ein Sprungbrett in ein besseres Leben. „Bei uns gibt es keine selektiven Vorabfilter bezüglich der Ausbildung, Erfahrung oder den Sprachkenntnissen. Alle bekommen eine Chance – unabhängig der Herkunft, des Geschlechts oder der finanziellen Möglichkeiten“, sagt Bosch-Lateinamerikachef Gaston Diaz Perez. „Wir wollen das Programm durchlässig für alle talentierten, ambitionierten, jungen Menschen machen, die unsere Werte teilen.“ Damit bekomme Bosch nicht nur die Top-Talente des Landes, sondern werde auch seiner gesellschaftlichen Verantwortung gerecht. „Wenn wir ihnen eine Chance geben, sich weiterzuentwickeln und ein besseres Leben zu haben, können wir auf allen Ebenen profitieren – auf geschäftlicher wie auf gesellschaftlicher Ebene“, sagt Diaz Perez.
Rund 2 400 junge Menschen
haben sich für das erste Semester in diesem Jahr beworben. Davon haben 36 Auszubildende im Januar 2023 gestartet.
Nicolly ist nur eines von vielen Beispielen, die beweisen, dass allein das Können entscheidend ist. „Für mich kam die Zusage überraschend“, gibt sie zu. „Wer stellt schon eine junge, alleinerziehende Mutter ein?“ Als sie sich bewarb, war ihre Tochter gerade mal ein halbes Jahr alt. Nicollys Mutter sei zwar skeptisch gewesen, ob sie alles unter einen Hut bekommen würde, doch sie ermutigte ihre Tochter auch, die Chance wahrzunehmen. Und Nicolly überzeugte – in einem dreistufigen Auswahlverfahren bestehend aus IQ-Test, Gruppenarbeiten und einem persönlichen Interviewtermin. „Im persönlichen Gespräch finden wir heraus, wer das Potenzial und den Willen hat, sich bei uns zu entwickeln“, sagt Henrique Dona. „Die meisten Studierenden können zu Beginn kein Wort Englisch oder wissen nicht, wie man programmiert. Heute präsentieren sie ihre Projektarbeiten vor Mitgliedern der Bosch-Geschäftsführung.“
Zwischen Familienleben und Programmieren
Nicolly lebt mit ihren Eltern, ihren drei Geschwistern und ihrer zweijährigen Tochter in Hortolândia, einer kleinen Stadt nahe Campinas. Den Alltag mit Familie und Studium zu organisieren, muss gut geplant sein. Der Tag beginnt für Nicolly deshalb schon sehr früh. Bereits um fünf Uhr ist sie mit ihrer Tochter auf den Beinen. Um kurz nach sechs Uhr muss sie den firmeneigenen Shuttle-Bus erwischen, der sie zum Standort bringt. Allein die Fahrt dauert rund eine Stunde. Wenn die junge Brasilianerin das Gelände betritt, ist sie keine alleinerziehende Mutter mehr. In ihrem Bosch-Polohemd, das sie als Schuluniform trägt, ist sie eine von aktuell 103 digitalen Talenten des Landes. Über den Laptop gebeugt, arbeitet sie mit verschiedenen Programmiersprachen, befasst sich mit Robotik und ihrem Spezialgebiet „Smart Automation“, der intelligenten Prozessautomatisierung.
In ihrem letzten Semester arbeitet die 19-Jährige im Geschäftsbereich Electrical Drives bereits an eigenen Projekten. „Aktuell befasse ich mich zum Beispiel mit der Frage, wie man Excel-Tabellen automatisieren kann, sodass der manuelle Pflegeaufwand entfällt“, erzählt sie. Wenn sie ihre Ausbildung abschließt, hat sie gute Chancen auf eine Festanstellung in ihrem Geschäftsbereich. Bereits im ersten Abschlussjahrgang konnten sich alle Absolventinnen und Absolventen über ein Jobangebot bei Bosch freuen. „Ich möchte meiner Tochter eine gute Zukunft bieten. Mein größter Wunsch ist es, eine eigene Wohnung und ein Auto zu kaufen“, sagt Nicolly über ihre Zukunftspläne. Der Kampf um die besten Talente geht dann in die nächste Runde. Die nächsten 84 jungen Digitaltalente stehen für das nächste Semester bereits in den Startlöchern. „Der Blick soll auch nach Brasilien gehen, wenn es darum geht, wo die besten Softwaretalente zu finden sind“, sagt Johnny Palma und ist überzeugt: „Unsere Auszubildenden werden Dinge tun und entwickeln, an die wir noch gar nicht denken.“