Der Weg zu Bosch eBike Systems
Zwei Entwickler im Interview
Die eBike-Entwickler Peter Kimmich und Phillipp Kohlrausch haben ein und dieselbe Idee verfolgt: Das Radfahren mit elektrischer Unterstützung besser machen, mehr Menschen aufs Rad bringen und dieses clevere Verkehrsmittel beliebter und universell einsetzbar machen. Vor 15 Jahren startete der heutige Bosch Geschäftsbereich Bosch eBike Systems mit der Technikentwicklung.
Vor dem Entwicklungsprojekt für eBike-Antriebe kannten Sie sich ja noch nicht. Aber Sie beide haben sich vor fast zwei Jahrzehnte mit dem Thema befasst. Wie kam es dazu?
KIMMICH
Es ist schon an die 20 Jahre her, da bekam ich einen Untersuchungsauftrag auf den Tisch: Lohnt sich ein Steuergerät für eScooter? Das war sehr spannend und hat mich dazu gebracht, mich mit Megatrends zu befassen, die mit dem Zweiradthema zu tun hatten: Mobilität in wachsenden Megastädten, alternde Gesellschaft, Klimawandel und die CO2-Thematik. Und das Thema eBike als Fahrrad passte einfach zu allen diesen Megatrends!
KOHLRAUSCH
Eines vorweg: Ich stamme aus Bremen, und da fängt man früh mit dem Radfahren an. Es ist bei den Menschen dort tief verankert, dass ein Fahrrad ein gutes Verkehrsmittel ist. Auf das eBike-Thema kam ich, weil mir 2006 in der Forschung angeboten wurde, in ein Batterieprojekt einzusteigen. Ein Aspekt des Projekts war der Einsatz dieser Technik in Elektrofahrzeugen. Wie viel elektrische Energie kann ich in einem Kilogramm Batterie speichern und was ist die Prognose für die nächste Zukunft? Die Prognose ergab für Lithium-Ionen 2010 bereits 200 Wh/kg. Da wurde mir klar: In absehbarer Zeit können wir Batterien so leicht machen, dass eBikes nicht übermäßig schwer sind. Das könnte der Durchbruch sein!
Aber neu war die Idee doch nicht?
KIMMICH
Yamaha hatten schon 1992 ein eBike am Markt, wie wir es im Kopf hatten: Fahrrad mit Trittunterstützung. Die Steuerung merkt, wenn der Fahrer in die Pedale tritt und gibt fast unmerklich Kraft dazu. Eingebauter Rückenwind sozusagen. Aber es kam niemand auf die Idee, das zur Großserie zu entwickeln. Es waren im Wesentlichen Reha-Fahrräder für Kurkliniken: Tiefeinsteiger, komfortabel, und für Leute, die sonst kaum oder gar nicht Rad fahren. Und diese Fahrräder waren auch unglaublich schwer. In den Fahrradkeller tragen, das ging gar nicht.
Aber damit waren Sie noch nicht am Start für die Entwicklung?
KOHLRAUSCH
Nein, aber es fügten sich Puzzleteile zusammen.
Rein technisch sah es gut aus. Ich dachte an die Gerlinger Panoramasteige als Beispiel für das, was unser eBike so kann: eine steile Strecke direkt bei der Unternehmenszentrale, die unsere Geschäftsführer kennen. Das habe ich 2007 simuliert und festgestellt, dass man da mit dreihundert Wattstunden durchaus zweimal, dreimal hochkommt, mit zwei bis drei Kilogramm Batterie.
KIMMICH
Das muss die Zeit gewesen sein, als Philipp bei mir anrief und sich zeigte, wie wir unsere beiden Ansätze zu einem vernünftigen Projekt zusammenfügen können. Das Puzzle ist dafür ein gutes Bild: Ich kam ja von der Steuergeräteseite, Philipp aus Projekten zu Batterie, und beide hatten wir mit Motoren zu tun. Am Ende hatten wir ein komplettes System vor Augen, also Motor, Batterie und die komplette Steuerung mit einem nutzerfreundlichen Display.
KOHLRAUSCH
Aber das war noch ein weiter Weg, denn bei Vorführungen gab es immer wieder Rückschläge, bis hin zum Prototyp, der 2008 bei der Vorführung nach dem Einschalten von selbst losfuhr. Wir wollten ihn Volkmar Denner vorstellen, der in der Geschäftsführung ein großer Fürsprecher unserer Idee war. Der zugekaufte Drehmomentsensor funktionierte bei Minusgraden leider nicht, wie er sollte, und wir mussten das flüchtige Rad wieder einfangen.
Das hört sich nach einer Katastrophe an. Und Sie kamen trotzdem weiter?
KIMMICH
Wir hatten Projektgelder genehmigt bekommen, und Herr Denner als Geschäftsführer sowie der Bereichsvorstand bei Automotive Electronics, Stefan Kampmann, standen hinter der Sache. Allerdings war es eine harte Zeit: Kampmann sagte uns: Es ist Freitag, und wenn Ihr in einer Woche eine Lösung habt, bekommt Ihr noch eine Chance.
KOHLRAUSCH
Das war die technische Seite. Das mussten wir in den Griff kriegen und wussten auch, dass wir das schaffen. Eine entscheidende Hürde war, ob das wirtschaftlich überhaupt funktionieren kann. Man musste die reellen Marktchancen ausloten: Wie viele Fahrräder gibt es, wie viele müsste man davon elektrifizieren, welchen Marktanteil bräuchten wir in Europa?
Und wer sollten die Kunden sein?
KOHLRAUSCH
Das waren die Fahrradhersteller, also ein „B2B“-Geschäft. Wir waren bei Markterkundungen immer sehr diskret, doch es sprach sich herum, dass bei Bosch etwas lief. Einer der ersten Kunden wurde Cannondale, die uns, wie andere Hersteller auch, geeignete Rahmen beschafften, um die wir die Prototypen herum aufbauen konnten.
KIMMICH
Um die Kunden mussten wir beide uns keine Gedanken machen. Das übernahm ein weiteres Team für die Kunden-Akquise um Claudia Wasko und Mario Kustosch. Bis Mitte 2009 durften wir Prototypen für 14 Kundenfirmen bauen. Denn die konnten jetzt sehen, wie gut und reif unser Antrieb war. 2010 hatten wir auf der wichtigsten Fahrradmesse, der Eurobike, erstmals einen Stand. Es war nur eine kleine Ecke, aber die Fachwelt sprach über unseren Antrieb. Es waren gut 50 Vorserienräder mit unserem Antrieb auf der Messe unterwegs.
Das war der Anfang, und der Rest war dann eine Erfolgsgeschichte, nach der ganzen Mühe und den vielen Extrarunden…
Die Interviewpartner
„Ich bin Peter Kimmich, Maschinenbauingenieur, Jahrgang 1963, seit 1992 bei Bosch. Ich habe in Stuttgart Maschinenbau studiert, thematisch sehr breit angelegt: Optik und Feinraumtechnik als Hauptfächer, Diplomarbeit zu allgemeiner Getriebeherstellkinematik als Softwarearbeit. Eigentlich alle Disziplinen, die ich später für das Thema eBike gebraucht habe.“
„Ich bin Philipp Kohlrausch, Elektrotechnikingenieur, Jahrgang 1975, seit 2000 bei Bosch. Ich habe in Dresden studiert und kam zu Bosch in die Forschung, Schwerpunkt Modellierung, Simulation und Regelungstechnik. In einem Batterieprojekt erkannte ich: Die Energiedichte wird sich so erhöhen, dass bald leichte Akkus für Elektrofahrräder machbar sind.“
Das Interview führte Dietrich Kuhlgatz