Die kulturelle Revolution der Autoindustrie
Im Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden der Daimler AG
25.10.2018
Die Aufgaben verändern sich, der Wettbewerbsdruck nimmt gleichzeitig zu: Dieter Zetsche sieht in diesem Spannungsfeld eine kulturelle Revolution – und sein Unternehmen mittendrin. Wohin führt dieser Weg?
Grenzen öffnen
Aus Erfahrung gut – für Dieter Zetsche reicht das nicht aus. Sein Unternehmen blickt auf eine 130-jährige Geschichte zurück. Sehr wertvoll nennt er diese Zeit, ergänzt aber: „Manchmal limitiert uns Erfahrung auch.” Er sieht den Konzern deshalb auf dem Weg einer kulturellen Revolution: „Wir öffnen alle unsere Grenzen und Limitierungen und machen Platz für Kreativität und Innovation.” Sein Unternehmen müsse zukünftig neue Lösungen anbieten können, die in Teilen vor wenigen Jahren noch eher im Bereich von Science-Fiction lagen. Ein Beispiel: autonomes Fahren. Zetsche will im Konzern zudem flexiblere Einheiten entwickeln, um die jeweiligen Kundengruppen noch fokussierter bedienen zu können. Im Wettbewerb mit der neuen digitalen Konkurrenz um die besten Modelle der Mobilität der Zukunft hält er diese Neuausrichtung für überlebenswichtig.
25 Prozent
Von Daimler angestrebter Absatzanteil von Elektroautos im Jahr 2025.
Die Autoindustrie verändere sich allein im kommenden Jahrzehnt so sehr wie im ganzen Jahrhundert zuvor, prognostizieren Experten angesichts aktueller Herausforderungen wie Digitalisierung, Klimaschutz und autonomem Fahren. Zetsche sieht gar die zweite Erfindung des Automobils auf die Branche zukommen. Man sei mittendrin im Wandel, der auch neuen Wettbewerb mit sich bringe. Die Googles und Apples dieser Welt hat er neben den traditionellen Konkurrenten ebenfalls als Mitbewerber ausgemacht – ein Wettbewerb, den er begrüßt: „Es fordert uns heraus, und das ist eine gute Sache.“
In diesem Wettstreit müsse man sich durchaus auch auf die bereits erarbeiteten Stärken besinnen. Seine Wunschvorstellung: die Kombination „unserer Erfahrung und neuer Denkmuster”. Und dies sowohl im Wettbewerb als auch in Kooperationen mit den neuen Firmen in der Automobilwelt.
Berlin ist nicht Nairobi
Vor diesem Hintergrund verändert sich für Zetsche die Marke Mercedes-Benz und setzt sich in Zukunft aus mehreren Komponenten der bewährten und der neuen Welt zusammen. So wären elektrische, emissionsfreie und selbstfahrende Autos in zehn Jahren schon keine Nische mehr. Gleichzeitig werde es jedoch weiterhin Autos mit Verbrennungsmotor und ohne Funktionen für autonomes Fahren geben. Warum? “Weil die Ansprüche auf diesem Planeten sehr unterschiedlich sind. Was wir uns in Berlin wünschen, ist nicht das, was wir in Nairobi wollen oder auf dem Land in den USA brauchen.“
Zetsche will die elektrische Sparte so spannend gestalten, dass sie für Kunden auch ohne Zugeständnisse seitens des Gesetzgebers attraktiv wird. Er verweist auf die Vorzüge der elektrischen Variante, den „unglaublichen Drehmoment“ und das „begeisternde Fahrerlebnis“, das daraus entstehe. Zetsche ist sich sicher: „Die Elektroautos von Mercedes-Benz werden in der Zukunft sehr, sehr cool sein.“
Natürlich wird er selbst eines dieser Elektroautos in der Garage stehen haben – aber eben nicht ausschließlich. “Gleichzeitig erfreue ich mich auch sehr an alten Autos”, sagt er. Auch das autonome Fahren wird er in Zukunft nicht uneingeschränkt nutzen. Dazu genießt er es viel zu sehr, selbst hinter dem Lenkrad zu sitzen.
Ein Interview mit Dieter Zetsche, Vorstandsvorsitzender der Daimler AG
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Im Fokus
Dieter Zetsche, 65
Vorstandsvorsitzender der Daimler AG
In fünf Jahren werde ich in einem Auto ohne Fahrer sitzen können.
Der Diplom-Ingenieur und Doktor der Ingenieurswissenschaften arbeitet seit 1976 für den Daimler-Konzern. 30 Jahre nach seinem Eintritt ins Unternehmen und Stationen in Argentinien, Brasilien und den USA übernahm er 2006 seinen jetzigen Posten von seinem Vorgänger Jürgen Schrempp.
Fazit
Dieter Zetsche sieht die Automobilbranche in einer kulturellen Revolution. Die neuen Aufgabenstellungen erfordern demnach nicht nur die zweite Erfindung des Automobils im digitalen Umfeld - sondern auch eine flexiblere Struktur innerhalb der Unternehmen.