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Andreas Tschiesner

Wie Städte vom autonomen Fahren profitieren werden

Im Gespräch mit dem Senior Partner von McKinsey im Bereich Automotive und Advanced Industries

Andreas Tschiesner vor einem grünen Hintergrund.

Selbstfahrende Autos werden die urbane Mobilität maßgeblich verändern. Das wird auch Auswirkungen auf die Einnahmen der Städte haben. So wird es in Zukunft wahrscheinlich kaum noch Bußgelder geben. Wie Städte neue Einnahmequellen erschließen können und warum durch autonome Shuttles neue Jobs entstehen, erklärt der Automobilexperte Andreas Tschiesner.

Automobilexperte Andreas Tschiesner spricht in einem Interview über die wirtschaftlichen Auswirkungen der selbstfahrenden Autos auf Städte.

Urbane Mobilität wird durch autonome Fahrzeuge ein neues Level erreichen: „Das wird so wie damals beim Umstieg von der Pferdekutsche aufs Auto“, vergleicht Andreas Tschiesner. Als Senior Partner der Unternehmensberatung McKinsey hat sich Tschiesner auf den Automotive- und Industriesektor spezialisiert und arbeitet mit vielen Autoherstellern und Zulieferern zusammen. Laut einer Studie von McKinsey werden autonome Fahrzeuge ab dem Jahr 2030 in unseren Städten unterwegs sein. Zwischen 2040 und 2050 werden sie den Schätzungen zufolge gegenüber nicht-autonomen Fahrzeugen deutlich in der Mehrzahl sein: „Dann werden etwa 90 Prozent aller Fahrten im großstädtischen Bereich in selbstfahrenden Fahrzeugen zurückgelegt“, so Tschiesner.

„Autonomes Fahren – das wird so wie damals beim Umstieg von der Pferdekutsche aufs Auto.“
Andreas Tschiesner

Mobilitäts-Mix als Lösung

Wer in zehn bis fünfzehn Jahren vom Stadtrand aus zur Arbeit pendelt, wird laut Tschiesner autonome Shuttles per App rufen und zu Preisen mitfahren können, die mit denen der öffentlichen Verkehrsmittel vergleichbar sind. Gegenüber Bussen und Bahnen haben autonome Fahrzeuge jedoch zwei Vorteile: Sie bieten mehr Privatsphäre und fahren ihre Passagiere direkt ans Ziel. Trotzdem werde der öffentliche Personennahverkehr in rund 20 Jahren noch eine wichtige Rolle spielen, glaubt Tschiesner: „Wenn sich jeder einzelne Pendler, der bislang mit Bus oder Bahn unterwegs ist, künftig ein autonomes Fahrzeug ruft, würde das einen Verkehrskollaps geben.“

Eine mögliche Verkehrsszene aus der Stadt der Zukunft, mit selbstfahrenden Autos und anderen Fahrzeugen.

Um dies zu verhindern, müssten die Städte eingreifen und die Nutzung von autonomen Fahrzeugen steuern. Das könnte über Mautgebühren geschehen, sagt Tschiesner. In London gibt es bereits heute eine City-Maut, die zu bestimmten Uhrzeiten in stark befahrenen Stadtteilen gilt. Sie soll dafür sorgen, dass Pendler vom Auto auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen. „Die Nutzung von autonomen Fahrzeugen wird wahrscheinlich mit ähnlichen Anreizsystemen gesteuert“, prognostiziert Tschiesner. „Es wird sich eine mobile Mischform entwickeln“, so Tschiesner weiter. Um die Mautgebühren zu vermeiden, fahren Pendler dann mit der Stadtbahn zur Haltestelle und von dort aus vielleicht mit dem autonomen Shuttle weiter bis an ihr Ziel.

30 Millionen Euro

nimmt die Stadt Hamburg im Schnitt jedes Jahr durch Strafzettel ein.

Maut statt Knöllchen

Die City-Maut würde aber auch dazu beitragen, die Stadtkassen stabil zu halten. In Hamburg fließen beispielsweise jährlich rund 30 Millionen Euro durch Strafzettel unter anderem fürs Falschparken in die Gemeindekasse, in Stuttgart an die 11 Millionen Euro durch Geschwindigkeitskontrollen. Diese Einnahmen aus Bußgeldern werden stark sinken, wenn automatisierte Fahrzeuge das Stadtbild dominieren. Denn sie parken, im Gegensatz zu den Menschen, stets korrekt und halten sich strikt an Tempolimits.

Städte bieten Fahrdienste

Andreas Tschiesner glaubt außerdem, dass die Städte zukünftig selbst autonome Fahrdienste anbieten werden. „Die regulatorische Hoheit über den Verkehr liegt ohnehin bei den Kommunen. Deshalb werden sie die selbstfahrenden Autos über Verkehrsleitzentralen orchestrieren.“ Die Städte könnten diese bestehenden Strukturen zur Verkehrssteuerung und ihre damit einhergehenden Kompetenzen nutzen, um eigene Mietstationen zu betreiben, die nicht nur autonome Autos, sondern ergänzend auch E-Scooter und E-Bikes anbieten.

„Unterm Strich wird es nicht weniger, sondern mehr Arbeitsplätze geben.“
Andreas Tschiesner
Automobilexperte Andreas Tschiesner erklärt die Zukunft der selbstfahrenden Autos an einem Monitor.

Folgen für den Arbeitsmarkt

Auch auf dem Arbeitsmarkt werden sich die Mobilitätsentwicklungen bemerkbar machen. Tschiesner hat dazu gemeinsam mit der Stadt Berlin geforscht: „Die Städte werden insgesamt weniger Bus- und Bahnfahrer, sowie Beamte im Ordnungs- und Verkehrsamt beschäftigen“, sagt er. Aber, so das Ergebnis seiner Studie: „Unterm Strich wird es nicht weniger, sondern mehr Arbeitsplätze geben.“

Laut dem Experten werden in der Automobilindustrie sowie bei den Mobilitätsdienstleistern zusätzlich Informatiker gebraucht. In den Städten wird Personal in den bereits erwähnten Verkehrsleitzentralen für autonome Fahrzeuge notwendig sein. Zudem entstehen neue Arbeitsplätze im Bereich der Fahrzeugservices und beim Flottenmanagement. Auch im Reinigungssektor erwartet Tschiesner einen erhöhten Bedarf. Denn beim Carsharing spielt die Hygiene im Fahrzeuginnenraum eine wichtige Rolle.

1 Milliarde Euro

Mehreinnahmen könnten täglich in der EU entstehen, wenn die Hälfte der Fahrzeit produktiv genutzt wird.

Viele weitere Branchen profitieren

Wenn sich Fahrzeuge autonom durch den Straßenverkehr steuern, bleibt den Passagieren Zeit für andere Dinge. Über das Jahr gerechnet verbringt jeder EU-Bürger laut Tschiesner knapp 40 Minuten pro Tag in einem Fahrzeug – häufig ist es das Auto. „Wenn die Hälfte dieser Zeit für die Arbeit genutzt werden würde, beispielsweise um Mails zu bearbeiten, wäre das ein zusätzlicher Wertschöpfungsbeitrag von einer Milliarde Euro pro Tag“, sagt er. Wollen die Passagiere lieber unterhalten werden oder online einkaufen statt zu arbeiten, profitieren davon Medienunternehmen und E-Commerce-Händler.

Das Nachsehen könnten Ladengeschäfte und Restaurants am Straßenrand haben, die vom Durchgangsverkehr leben. Denn die Passagiere werden in die Fahrcomputer der autonomen Fahrzeuge meist ein konkretes Fahrziel eingeben, dabei sind spontane Zwischenstopps nicht eingeplant. Um dennoch auf sich aufmerksam zu machen, könnten lokale Unternehmen sogenannte „Location Based Services“ einsetzen. Dabei wird über die Bildschirme in den autonomen Fahrzeugen personalisierte und standortbezogene Werbung ausgespielt und beispielsweise ein Restaurant oder Geschäft in der Nähe beworben, das den Interessen der jeweiligen Fahrgäste entspricht. „Wir sehen in diesen datenbasierten Angeboten und Services einen großen Wachstumsmarkt“, sagt Tschiesner.

Im Fokus

Ein Portraitbild des Automobilexperten Andreas Tschiesner von McKinsey.

Andreas Tschiesner,

Senior Partner bei McKinsey im Bereich Automotive und Advanced Industries

Andreas Tschiesner hat einen Abschluss auf dem Gebiet der Werkstoffwissenschaften und einen Master of Business Administration an der Wirtschaftsuniversität Wien. Er ist seit 1996 bei McKinsey und leitet am Standort München den Automotive-Sektor in Europa mit rund 470 Beratern. Davor war er mehrere Jahre für McKinsey in Japan und Südostasien tätig. Tschiesner berät führende Unternehmen und Zulieferer der Automobilindustrie. Schwerpunkte seiner Arbeit sind die Digitalisierung und autonomes Fahren.

Fazit

Autonome Mobilitätsdienste werden öffentliche Verkehrsmittel wie Busse und Bahnen nicht vollständig ablösen. Durch potenzielle Mautsysteme werden Städte den Verkehr regulieren und versuchen, den Wegfall ihrer Bußgeldeinnahmen zu kompensieren. In vielen Branchen wird das autonome Fahren zudem zu neuen Jobs führen.

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