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CEO-Blog

Einhorn Europa

Stefan Hartung steht vor der Europa Flagge im Hintergrund.

07.06.2024

Eigentlich müsste dieser Text überflüssig sein. Eigentlich müsste uns allen längst klar sein, worum es am 9. Juni wirklich geht. Wir stimmen, wenn wir am kommenden Wochenende das Europäische Parlament wählen, nämlich nicht über den Krümmungswinkel von Salatgurken ab, sondern über unseren Wohlstand. Nicht über die Größe des Brüsseler Beamtenapparates, sondern über die Sicherheit der Arbeitsplätze in 27 Ländern. Nicht über das Verbot von Glühbirnen, sondern über die Zukunft Europas in einer instabilen Welt.

von Stefan Hartung
Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH

Leider aber legen die Umfragen nahe, dass die Wahlentscheidung zu oft von Nebensächlichkeiten geleitet wird, und nicht vom sachlichen Blick auf das große Ganze. Es ist wichtig, dass wir uns klar vor Augen führen, was am Sonntag auf dem Spiel steht.

An erster Stelle muss man auf die großen Fragen von Frieden und Völkerverständigung verweisen, die heute wichtiger erscheinen als noch vor wenigen Jahren – wer die Verdienste der EU in dieser Hinsicht nicht erkennen kann, ist für die nüchterne Debatte wohl ohnehin verloren. Es geht aber auch um die entscheidende Bedeutung einer funktionierenden EU für die Wirtschaft und damit den Wohlstand in jedem einzelnen Land der Union.

Allein der Binnenmarkt, so hat es das Kieler Institut für Weltwirtschaft schon vor einiger Zeit berechnet, macht die Länder der EU jedes Jahr um 643 Milliarden Euro reicher. Und auch Deutschland ist keineswegs der vielzitierte „Zahlmeister“ der EU. Zwar überweist Berlin mehr Geld nach Brüssel als andere Regierungen, andererseits profitiert aber kaum ein anderes Land so vom freien Handel in Europa wie das unsere. Mehr als die Hälfte der deutschen Ausfuhren gehen in den Binnenmarkt – der damit nach Angaben der Bundesregierung jährlich gut 1 000 Euro zum deutschen Pro-Kopf-Einkommen beisteuert. Insgesamt beläuft sich der Wertbeitrag für die deutsche Volkswirtschaft demnach auf nahezu 70 Milliarden Euro. Das sollte gerade in einem Land, in dem jeder vierte Arbeitsplatz vom Export abhängt, nicht vergessen werden.

Unterschiedliche Personen halten ihre Hände gemeinsam in einem Kreis zusammen.

Wenn wir diesen – auch individuellen – Wohlstand bewahren wollen, dann müssen wir uns weiterhin zur globalen Vernetzung und kulturellen Offenheit unseres Kontinents bekennen. Deshalb hat sich Bosch auch der Allianz „Wir stehen für Werte" angeschlossen, in der sich mehr als 30 deutsche Unternehmen und Organisationen klar zu einem geeinten Europa bekennen. Dabei liegt eine starke EU keineswegs allein im Interesse der großen Konzerne. Gerade Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen finden viele Rechte in den Vorgaben aus Brüssel verankert, vom Mindesturlaub bis zur Begrenzung der Arbeitszeit.

Leuchtet also alles in der EU so golden wie die Sterne auf der Europaflagge? Natürlich nicht. Wer etwa einen gewissen Hang zur Überregulierung bei gleichzeitiger gelegentlicher Entscheidungsschwäche beklagt, hat nicht völlig unrecht. Wer auf den „Wumms“ bei der Förderung von Schlüsseltechnologien wie KI oder Wasserstoff wartet, wartet nicht allein. Und auch in vielen deutschen Firmen hält sich der Jubel bei der ein oder anderen Detail-Vorgabe aus Brüssel bekanntlich in Grenzen. Trotzdem bin ich nicht nur als Mensch, sondern auch als Manager heilfroh, dass sich die europäischen Staaten in einem Wirtschaftsraum zusammengeschlossen haben. Im vergangenen Jahr hat Bosch in Europa nahezu 47 Milliarden Euro erwirtschaftet. Das ist etwas mehr als die Hälfte unseres Gesamtumsatzes. Ohne den freien Austausch von Menschen, Waren und Dienstleistungen innerhalb Europas wäre ein Erlös in dieser Größenordnung wohl nicht zu erzielen.

Ein Einhorn steht auf einem Hügel.

Den Risiken der Weltpolitik und den Gefahren vor unserer Haustür können wir in Europa nur gemeinsam begegnen. Und nur ein starkes Europa gibt den Nationalstaaten den nötigen Halt für notwendige Reformen. Bildung, kontrollierte Zuwanderung und eine geschlossene Sicherheitspolitik sind dabei die zentralen Themen. Wenn wir also eine EU wollen, die in Krisen handlungsfähiger ist, die klare und nachvollziehbare Entscheidungen trifft, die als ein glaubwürdiges Gegengewicht zu Populismus und Autokratie auftreten kann, dann müssen wir die destruktiven Kräfte von ihr fernhalten. Das vereinte Europa ist ein Glücksfall, so unwahrscheinlich wie ein historisches Einhorn, und auch im reifen Alter noch genau so zart und empfindlich. Solchen Wundern sollte man nicht mit dem Hammer einer radikalen Politik begegnen.

Und die Gurkenkrümmungsverordnung wurde übrigens schon längst ersatzlos abgeschafft. Geht doch.

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