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CEO-Blog

Die klimaneutrale Stadt – nachhaltig leben und wirtschaften

Bosch-CEO Stefan Hartung steht vor einer von unten fotografierten Hochhauslandschaft mit Bäumen.

21.06.2023

Je bedeutsamer die Städte als Faktor im Klimageschehen werden, umso mehr Wirkung können wir erzielen, wenn wir intelligente und nachhaltige Lösungen gebündelt im urbanen Raum einsetzen.

von Stefan Hartung

Wir können die Verstädterung der Welt nicht aufhalten. Aber wir sollten sie nutzen – indem wir genau hier den Hebel ansetzen und unsere Klima-Anstrengungen noch stärker als bisher auf die Stadt konzentrieren. Nicht nur, weil der Schlüssel zu einer klimaneutralen Welt in den urbanen Zentren liegt. Sondern auch, weil die Menschen in den Städten durch den Klimawandel ganz besonders gefährdet sind: In Berlin zum Beispiel hat sich die Zahl der jährlichen Hitzetage innerhalb der vergangenen siebzig Jahre im Schnitt auf 15,7 Tage nahezu verdreifacht.

800 Millionen

Stadtbewohner werden im Jahr 2050 schätzungsweise durch ansteigende Meeresspiegel gefährdet sein

Noch dramatischer sind die Aussichten für andere Ballungszentren auf der Welt. Das weltweite Bürgermeisternetzwerk C40 schätzt, dass 2050 schon rund 800 Millionen Stadtbewohner durch ansteigende Meeresspiegel gefährdet sind. Hinzu kommen extreme Wetterbedingungen. Starkregen oder Dürre werden in Zukunft die Versorgung der Städte mit Nahrung und Wasser wohl noch häufiger bedrohen als bisher.

Die Skyline von Quingling mit vielen Wolkenkratzern und einem großen Fluss im Vordergrund.

Städte – die innovativen Treiber der Menschheitsgeschichte

Der Kampf gegen den Klimawandel wird sich also nicht allein auf dem Land, sondern vor allem in der Stadt entscheiden. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass uns diese Einsicht Mut machen sollte. Städte sind seit jeher viel mehr als nur eine besonders eng bebaute Fläche. Städte sind der innovative Treiber der modernen Menschheitsgeschichte, sie sind die beschleunigten Zellkerne unserer Gesellschaft. In ihnen verdichten sich die Herausforderungen unserer Zeit – und sie setzen die Impulse für die Zukunft. Diese intellektuelle Kraft der Zentren ist nötiger denn je.

Ich bin mir sicher, dass man vor allem dort erfolgreich sein wird, wo man sich auf das besinnt, was blühende Städte schon immer ausgezeichnet hat: Kreativität, Offenheit, Unternehmergeist. Auch der Mut zur Technik gehört dazu.

Stefan Hartung, Vorsitzender der Bosch Geschäftsführung

Erstmals stehen die Städte der Welt vor einer gemeinsamen – und gewaltigen – Aufgabe. Sie müssen Antworten auf den Klimawandel finden und gleichzeitig den Wohlstand ihrer Bewohner bewahren beziehungsweise in vielen Städten überhaupt erst einmal sicherstellen. Patentrezepte gibt es nicht. Dafür sind die geographischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen viel zu unterschiedlich. Ich bin mir allerdings sicher, dass man vor allem dort erfolgreich sein wird, wo man sich auf das besinnt, was blühende Städte schon immer ausgezeichnet hat: Kreativität, Offenheit, Unternehmergeist. Auch der Mut zur Technik gehört dazu.

Es braucht visionäre Lösungen

Denn komplexe Probleme erfordern vielfältige, oft auch visionäre Lösungen. Als die ersten Stadtplaner in London die Idee hatten, Züge unterirdisch fahren zu lassen, hat man sie noch für verrückt erklärt. Die Times schrieb damals, kein Mensch würde jemals den offenen Pferdebus gegen eine dunkle Reise durch den fauligen Untergrund eintauschen. Und der greise Premierminister Lord Palmerston blieb der Eröffnung der ersten Linie fern, weil er meinte, in seinem Alter müsse man über jeden Tag froh sein, den man noch über der Erde verbringe. Interessant ist an diesem Beispiel übrigens, dass hier eine im Prinzip bereits bestehende Technik – nämlich die Eisenbahn – völlig neu gedacht wurde, und zwar fast 30 Jahre bevor die eigentlich neue Technik – nämlich das Automobil – erstmals auf englischen Straßen auftauchen sollte.

Fortschritt ist also einerseits echte Revolution, und andererseits kluge Anpassung an neue Gegebenheiten. Das gilt auch für unseren Weg in eine klimaneutrale Zukunft.

Stefan Hartung, Vorsitzender der Bosch Geschäftsführung

Fortschritt ist also einerseits echte Revolution, und andererseits kluge Anpassung an neue Gegebenheiten. Das gilt auch für unseren Weg in eine klimaneutrale Zukunft – für den uns zum Glück gleich mehrere Lösungen zur Verfügung stehen. Das Spektrum reicht von batterieelektrischen Antrieben über grünen Wasserstoff und Wärmepumpen bis hin zu Brennstoffzellen oder erneuerbaren Kraftstoffen. Manche dieser Lösungen benötigen noch Investitionen in die Infrastruktur, andere müssen noch ein, zwei Entwicklungsschritte durchlaufen. Sie deshalb voreilig abzutun, wäre mit Blick auf die Klimasituation allerdings fahrlässig.

Es ist auch wenig hilfreich, wenn wir unsere Zeit darauf verwenden, Technologien gegeneinander auszuspielen. Wir sollten stattdessen nach Wegen suchen, wie wir die verschiedenen Ansätze am besten miteinander kombinieren können.

Weniger Verbrauch dank Smart Home

Ein Ehepaar reguliert zu Hause die Heizung mit einer Smart Home App.

Wir verbrauchen in Deutschland mehr Energie in den eigenen vier Wänden als auf der Straße. Der Verkehrssektor trägt 28 Prozent zum Gesamtverbrauch bei. Der Wert für Heizung, Warmwasser und Beleuchtung liegt bei 30 Prozent. Aber allein mit einer intelligenten Steuerung kann man hier erhebliche Einsparungen erzielen: Wer sein Zuhause konsequent zu einem Smart Home umbaut, verbraucht bis zu 36 Prozent weniger an Heizenergie.

Entscheidend für den Wandel zur klimaneutralen Stadt ist aber natürlich die Umstellung auf nicht-fossile Brennstoffe. Ab 2024 sollen bekanntlich nur noch neue Heizungen eingebaut werden, die mindestens zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Das ist ein richtiger Schritt. Aber damit die Wärmewende auch bezahlbar bleibt, müssen mehrere technologische Lösungen zum Zuge kommen.

36 %

weniger Heizenergie sind bei einem konsequenten Umbau zu einem Smart Home möglich

Investition von 300 Millionen Euro in Wärmepumpen

Denn eine mit grünem Strom betriebene Wärmepumpe ist ideal, um nachhaltig zu heizen. Deshalb investieren wir bei Bosch in den kommenden Jahren auch weitere 300 Millionen Euro in diesen Bereich. Aber zwei von drei Gebäuden in Deutschland sind derzeit noch nicht bereit für den alleinigen Einsatz einer Wärmepumpe. Und nicht jeder kann die hohen Kosten für eine entsprechende Sanierung aufbringen. In solchen Fällen müssen wir also an Hybridlösungen denken, bei der eine Wärmepumpe rund 80 Prozent der Heizleistung erbringt, so dass die Gastherme nur noch die Spitzenlasten abfangen müsste – eine nachhaltige Lösung auch für wirklich kalte Winter.

Wenn wir über unsere klimaneutrale Zukunft reden, konzentrieren wir uns in der Regel auf neue Heizungen oder auch neue Autos. Aber was machen wir mit den Millionen von bereits verbauten Gasthermen und dem Altbestand an Fahrzeugen, die bereits auf unseren Straßen fahren? Schon die Idee einer Verbotspolitik erscheint mir hier widersinnig – das wäre sozial nicht vermittelbar und weder ökonomisch noch ökologisch sinnvoll.

eine Bosch-Wärmepumpe in einem Garten

Neue Heizkessel-Generation – betrieben mit 100 % grünem Wasserstoff

Prototyp eines neuen H2-Heizkessels

Glücklicherweise kann uns auch hier die Technik helfen: In jeder zweiten deutschen Wohnung finden Sie derzeit eine Gasheizung. Schon jetzt könnten die meisten dieser Thermen auch Wasserstoff nutzen, teilweise ist eine Beimischung von bis zu 20 Prozent machbar. Und zwar ohne allzu großen Aufwand und mit dem bestehenden Gasnetz. In Zukunft ist noch viel mehr möglich: in unserem englischen Werk in Worcester entwickeln wir derzeit eine neue Generation von Boilern, die sogar zu 100 Prozent mit grünem Wasserstoff betrieben werden kann.

Das Beispiel der Wasserstoffbeimischung zeigt, wie eine erfolgreiche Strategie in Richtung Nachhaltigkeit aussehen sollte: Neues schaffen – und zugleich Bestehendes optimieren. Die technischen Grundlagen unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft lassen sich nicht über Nacht austauschen – und schon gar nicht im deutschen Alleingang. Wir müssen Infrastruktur und Technik von heute fit für morgen machen, während wir parallel mit voller Kraft an den ganz neuen Lösungen für übermorgen arbeiten. Kühne Visionen – und gleichzeitig nüchterne Nutzung aller bereits vorhandenen Hebel.

Wir müssen Infrastruktur und Technik von heute fit für morgen machen, während wir parallel mit voller Kraft an den ganz neuen Lösungen für übermorgen arbeiten.

Stefan Hartung, Vorsitzender der Bosch Geschäftsführung

Massiver Ausbau erneuerbarer Energien

Wie entscheidend dieser Parallelansatz sein kann, sehen wir auch in der Mobilität. In Zukunft werden uns mit Batterie, Brennstoffzelle und Wasserstoffmotor klimaneutrale Antriebe zur Verfügung stehen. Aber was machen wir bis dahin? Was machen wir mit den rund 1,4 Milliarden Fahrzeugen, die heute und eben auch noch morgen auf den Straßen der Welt fahren? Die Antwort ist: Wir sollten sie mit synthetischen Kraftstoffen betanken. Das geht, ohne dass man die heutigen Motoren umrüsten müsste. Es geht auch problemlos mit den Tankstellen, die wir bereits haben.

Es geht aber nicht ohne einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien. Synthetische Kraftstoffe sind nur dann klimaneutral, wenn wir für ihre Herstellung Windkraft, Photovoltaik oder andere regenerative Quellen nutzen. Das gilt im Wesentlichen auch für Wasserstoff und bekanntlich auch für den batterieelektrischen Antrieb. Um die Klimaziele zu erreichen, brauchen wir mehr Digitalisierung, mehr Dynamik, mehr vom neuen Deutschlandtempo. Damit meine ich nicht nur die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren – sondern auch eine grundsätzliche Offenheit gegenüber Technik. Wenn wir in manchen Bereichen die Chancen genauso intensiv diskutieren würden wie die Bedenken, wäre schon viel gewonnen. Wenn Sie so wollen: Damit wir Deutschlandtempo gehen können, brauchen wir auch Deutschlandflexibilität.

Komponenten für Elektrolyseure

Komponente zur Wasseraufbereitung

Dabei muss die Wirtschaft natürlich ebenso Verantwortung übernehmen wie Politik und Gesellschaft. Bei Bosch werden wir in den kommenden drei Jahren gut drei Milliarden Euro in klimaneutrale Technik investieren. Ein gewichtiger Anteil davon entfällt auf die Entwicklung von Komponenten für Elektrolyseure. Dabei handelt es sich um Anlagen, in denen Wasser per Elektrolyse in Wasserstoff und Sauerstoff umgewandelt wird – und dies eben mithilfe von grünem Strom und damit ohne CO₂-Ausstoß. Der große Vorteil: Wasserstoff kann den Strom aus der Natur speichern. Die Versorgung ist also auch dann sicher, wenn wir weder Wind noch Sonne sehen.

Energieversorgung ganzer Stadtquartiere mit der stationären Brennstoffzelle

Gerade für Städte bietet sich eine besonders effiziente Methode an, um diesen Wasserstoff wieder in Strom und Wärme umzuwandeln, und das ist die stationäre Brennstoffzelle. Sie ist nicht viel größer als ein Kühlschrank und kann beliebig erweitert werden, um Gebäude, Krankenhäuser oder auch ganze Stadtquartiere mit Energie zu versorgen. Wenn wir sie mit grünem Wasserstoff betreiben, entstehen dabei keine CO₂-Emissionen. Und zudem ist es bei der Brennstoffzelle ähnlich wie bei den wasserstofffähigen Gasthermen oder den erneuerbaren Kraftstoffen: Wir können die bestehende Infrastruktur schon nutzen, während wir die neue aufbauen. Denn die Brennstoffzelle lässt sich auch mit herkömmlichem Erdgas betreiben – und verursacht selbst dann zwei Drittel weniger Emissionen als Kohlekraftwerke.

Auch bei der Brennstoffzelle geht Bosch erheblich in Vorleistung und investiert insgesamt eine halbe Milliarde Euro in die Entwicklung dieser Technik. Denn die Brennstoffzelle ist ein wichtiger Bestandteil für die sogenannte Sektorenkopplung, also für einen ganzheitlichen Blick auf unser Energiesystem. Eine Brennstoffzelle kann nämlich nicht nur Wohnungen beleuchten oder Krankenhäuser heizen, sondern auch die Batterien von Elektroautos und natürlich auch von E-Bikes aufladen. Strom, Wärme und Mobilität werden in Zukunft also sehr eng verflochten sein – und nirgendwo so eng wie in der Stadt.

Zwei Bosch-Mitarbeiter vor der stationären Brennstoffzelle

500 Millionen Euro

investiert Bosch in die Entwicklung der Brennstoffzellentechnik

Blühende Städte durch ein Zusammenspiel von Politik, Wirtschaft, Kultur und Technik

Jetzt habe ich viel über Technik gesprochen. Allerdings wissen auch technikbegeisterte Maschinenbauer und Ingenieure, dass eine Stadt aus mehr als nur aus Effizienz und digitalen Prozessen besteht. Oder anders gesagt: Die Energie einer Metropole bemisst sich nicht allein in Megawatt. Aber was unterscheidet ein dynamisches Zentrum voller Strahlkraft von einer bloß verwalteten Siedlung? Ich glaube, Städte blühen dann ganz besonders auf, wenn Politik und Wirtschaft, Kultur und Technik möglichst eng und vorbehaltlos zusammenspielen. Rom wurde nicht nur durch politische Ziele zusammengehalten, sondern auch durch Infrastruktur und Recht. Das Florenz der Renaissance hat uns nicht nur bahnbrechende Kunst und ein völlig neues Menschenbild hinterlassen, sondern auch die Bautechnik revolutioniert und das moderne Bankwesen geprägt.

Die Bedrohung durch den Klimawandel ist so groß, dass wir keine Lösung von vornherein ausschließen sollten. Jedes eingesparte Gramm CO₂ zählt.

Stefan Hartung, Vorsitzender der Bosch Geschäftsführung

Erfolgreiche Städte haben immer über sich selbst hinausgedacht. Das ist auch heute noch so – und gilt auch für den Klimaschutz. Überzogene Insellösungen verlagern die Probleme nur in die Peripherie. Wer sich mit Verboten abschottet, tut wenig fürs Klima, gefährdet aber die lebendige Atmosphäre einer Stadt. Und ignoriert zudem noch die Verantwortung, die Städte auch gegenüber ihrem Umland haben.

Gerade das gemeinsame Ziel Klimaschutz erfordert den klassischen Bürgersinn – also Engagement und die Einsicht, dass auch andere Interessengruppen ein Teil der Lösung sein müssen. Für den Klimaschutz brauchen wir also eine mutige Politik, eine leistungsfähige und werteorientierte Wirtschaft, eine zukunftsoffene Kultur und ein hochentwickeltes Spektrum an bezahlbarer Technik.

Die Bedrohung durch den Klimawandel ist so groß, dass wir keine Lösung von vornherein ausschließen sollten. Jedes eingesparte Gramm CO₂ zählt – auch hier in Deutschland. Wir haben uns verpflichtet, bis spätestens 2045 klimaneutral zu werden. Dieses Ziel ist erreichbar. Vor allem dann, wenn wir Denkverbote genauso abtragen wie die Städte ihre Mauern.

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