Winzige Weltenlenker
MEMS: Wie Bosch mit winzigen Sensoren einen Riesenerfolg feiert

Sie sind mikroskopisch klein und für moderne Mobilität und Kommunikation unverzichtbar: mikroelektromechanische Systeme, kurz MEMS, gelten als eine Schlüsseltechnologie für die Zukunft. Ihre Erfolgsgeschichte beginnt Mitte der Neunzigerjahre – mit einer revolutionären Erfindung von Bosch.
Sinnesorgane der Technik
Wenn sich ein Airbag präzise und schnell öffnet, wenn sich ein schleuderndes Auto selbst stabilisiert oder sich der Bildschirm eines Smartphones mit der Bewegung dreht, dann stecken dahinter mikroelektromechanische Systeme, kurz: MEMS.
Mit ihren Siliziumstrukturen im Inneren – teilweise um ein Vielfaches dünner als ein menschliches Haar – können sie mikroskopisch kleine Bewegung in elektrische Signale umwandeln, sie als Informationen verarbeiten und weitersenden. Das macht sie sozusagen zu Sinnesorganen der technischen Welt.

Durchbruch dank Bosch
Bereits in den 1970er Jahren waren kleine Instrumente in Geräten und Maschinen eingebaut worden, die beispielsweise Druckwerte oder Beschleunigungsraten bestimmen konnten. Aber erst eine bahnbrechende Entwicklung von Bosch Mitte der 1990er Jahre sorgte für den Siegeszug der MEMS-Sensorik: Der sogenannte Ionentiefenätzprozess (DRIE-Prozess) ermöglichte es, kammartige Strukturen mit in höchstem Maß senkrechten Wänden in Silizium zu ätzen. Das erlaubte eine Verkleinerung der Sensoren und machte zudem die Herstellung präziser und günstiger. Bosch stellte diesen Prozess in Form einer Lizenz auch den Wettbewerbern zur Verfügung. Gleichzeitig wurde die Erfindung so eng mit dem Unternehmen in Verbindung gebracht, dass sie in der gesamten Industrie und auch beim Wettbewerb nur als „Bosch-Prozess“ bekannt ist.

Was macht den Bosch-Prozess besonders?
An der Schwelle zum neuen Jahrtausend legte Bosch den Grundstein zur Marktführerschaft unter den MEMS-Produzenten: 1998 stellte das Unternehmen seinen ersten Silizium-MEMS-Drehratensensor vor, der im Elektronischen Stabilitätsprogramm (ESP®) eingesetzt wurde. Durch die flächendeckende Installation dieses Fahrassistenzsystems – und damit dank MEMS-Sensoren – werden laut Studien jährlich mehr als 10 000 Menschenleben gerettet.
Das Anwendungsgebiet des ESP® gab zunächst die Richtung für Bosch vor, sodass der Fokus der MEMS-Herstellung auf Lösungen für die Automobilbranche lag. Dabei galt es, die Sensoren so weiterzuentwickeln, dass sie den im Motorraum vorherrschenden Temperaturen zwischen minus 40 bis plus 135 Grad Celsius standhalten sowie unter widrigen externen mechanischen und elektrischen Störungen funktionieren.
5 MEMS-Sensoren
von Bosch finden sich durchschnittlich in jedem neu produzierten Auto.
Mut zahlt sich aus

Gleichzeitig erkannte Bosch früh die wachsende Bedeutung der MEMS-Sensoren auch für andere Bereiche – vor allem für Konsumgüter. Mit dem Ziel, diesen Industriezweig ebenfalls zu erschließen, wurde 2005 die Bosch Sensortec GmbH gegründet. Ein gewagter Schritt, denn der Markt für Unterhaltungsgeräte verlangte nach der immer schnelleren Einführung neuer Produkte, und vor allem galt eine fortlaufende Reduzierung von Größe, Gewicht, Stromverbrauch und Kosten als entscheidend im Rennen um die Marktführerschaft. Der Mut zahlte sich jedoch aus. Heute fertigt Bosch täglich mehr als vier Millionen MEMS-Sensoren.
Positive Beeinflussung
Die Konsumelektronik spielt mittlerweile die größte Rolle im MEMS-Marktsegment, 70 Prozent aller MEMS-Sensoren von Bosch sind für diesen Bereich bestimmt. Sensoren, deren Verwendung einstmals nur Prestigeobjekten vorbehalten war, finden sich inzwischen selbst in Schrittzählern von Hobbyläufern.
Im Gegenzug beeinflusste die Anpassung an die Entwicklungsprozesse der Konsumelektronik auch den Automobilbereich bei Bosch positiv. Ein moderner ESP®-Drehratensensor verfügt heute beispielsweise über eine so hohe Sensibilität, dass er die eigentlich kaum wahrnehmbare Rotationsgeschwindigkeit des Stundenzeigers einer Uhr erkennen kann.

Meilensteine der MEMS-Geschichte
Bahnbrechende Innovation
Diese Geschichte zeigt, wie Bosch auf dem hart umkämpften Gebiet der MEMS-Sensoren seine Marktführerschaft mit Innovationen bei Produkten als auch Fertigungsprozessen behauptet. Als einer der wenigen Hersteller weltweit deckt Bosch heute die gesamte Wertschöpfungskette ab: das umfasst die Entwicklung der MEMS-Prozesse, des Designs, der Auswerteschaltungen, Verpackungen und Testverfahren ebenso wie Fertigung und Vertrieb.
Diese Gesamtoptimierung ermöglichte eine hervorragende Qualität und Miniaturisierung – und führte zu weiteren bahnbrechenden Innovationen. Insgesamt bilden nun fünf von Bosch entwickelte Prozesse der Oberflächen-Mikromechanik die Basistechnologie der MEMS-Produktion. Einer der Meilensteine war dabei der „APSM-Prozess“ (Advanced Porous Silicon Membrane) für Drucksensoren. Er erzeugt unter einer monokristallinen Silizium-Membran einen exakt definierten Hohlraum mit Vakuum – die Voraussetzung für hochpräzise, kleine und kostengünstige Drucksensoren.
Wie funktionieren MEMS-Sensoren?
Energieeffizienz und Datensicherheit
Und die Geschichte der MEMS-Innovationen ist noch lange nicht zu Ende erzählt. Nach Wachstum im Bereich der Automobil- und Konsumelektroniksensoren ergaben sich in einer dritten Welle weitere Entwicklungsmöglichkeiten durch die Vernetzung der Sensoren über das Internet der Dinge (IoT).
Da diese MEMS-Sensoren ihre Daten teilweise selbst verarbeiten können, reduzieren sie nicht nur den Datentransfer in allen Systemarchitekturen, sondern – falls batteriebetrieben – auch die Sendezeit sowie den Stromverbrauch. Die Folge: Mehr Energieeffizienz, weniger Datenübertragung und – eine der wichtigsten Herausforderungen unserer Zeit – höhere Datensicherheit.

Es wird erwartet, dass künftig hunderte Milliarden MEMS-Bauelemente benötigt werden, um den Bedarf zu decken. Dabei geht es neben dem großen Feld des IoT auch um automatisiertes Fahren, wenn MEMS-Sensoren das Auto zur Eigenlokalisierung ohne Umfeldsensorik oder GPS befähigen – allein basierend auf Beschleunigungs- und Drehrateninformationen.
Im Zuge der Notwendigkeit redundanter Systeme für eine jederzeit sichere Mobilität ist dies eine der Voraussetzungen für automatisiertes Fahren – und wieder sind MEMS-Sensoren die Schlüsselbauelemente. Wie auch in den wachsenden Märkten für Drohnen und zukünftig vielleicht sogar für autonome Flugtaxis, deren Steuerung ohne MEMS-Sensorik nicht möglich ist.
Die Welt der MEMS-Sensoren
Auch künstliche Intelligenz (KI) findet immer mehr Einzug in die winzige Sensorentechnik. MEMS-Sensoren von Bosch sind inzwischen fähig, personenabhängige Gesten zu erlernen, was im Umgang mit Smartphones (beispielsweise bei neuen Gesten von Menschen mit Einschränkungen) oder Schrittzählern (Anpassungen an individuelle Schrittmuster) neue Entwicklungsstufen einläutet.
MEMS-Sensoren und maschinelles Lernen werden so zum nächsten Kapitel einer großen Erfolgsgeschichte: Der Wirkungskreis der Winzlinge von Bosch, er wird auch in Zukunft – gegenläufig zu ihrer Größe – immer weiterwachsen.