Kurz, klar, wahr. Ein Jahrhundert Mitarbeiterzeitung „Bosch-Zünder“
Geschichten aus der Geschichte und aus der digitalen Gegenwart
100 Jahre Bosch-Zünder, 893 Ausgaben, abertausend Seiten, Millionen Worte über Bosch. Wie das mit wenigen Worten würdigen? Am besten, wir machen ein „best of“ daraus. Also küren wir gleich den stärksten Satz aus 100 Jahren Bosch-Zünder.
Stöbern in alten Bänden, blättern in vergilbtem Papier – und wir finden den Satz aller Sätze im September 1946. Seinerzeit erschien „nach einer unfreiwilligen Pause von zwei Jahren“ der Bosch-Zünder wieder, wenn auch „vorläufig nur als zweiseitiges Blatt“. Und in der ersten Ausgabe nach dem Zweiten Weltkrieg findet sich jener Satz, der auch dem flüchtigsten Durchblättern Einhalt gebietet. „Der Bosch-Zünder“, so heißt es, „spricht wieder im alten Bosch-Geist: kurz, klar, wahr.“
Welch ein Satz, schlicht, schön und doch so schwergewichtig. Denn genau betrachtet, birgt er nicht nur eine Ankündigung, sondern auch eine Abrechnung. Der Bosch-Zünder, das ist die eine Seite unseres Jahrhundertsatzes, soll nach dem Ungeist der Hitlerzeit wieder an den Geist von Robert Bosch anknüpfen, dem nichts fremder ist als leeres Gerede. Zugleich aber lässt der Satz durchblicken, was der Bosch-Zünder unter dem Druck der Nazi-Diktatur nicht durchhalten konnte: immer kurz, klar und wahr zu berichten. Es sind nur wenige Worte, aber sie trennen Journalismus von Propaganda.
Genauso hatte es Robert Bosch gemeint, als er auf der ersten Seite der ersten Bosch-Zünder-Ausgabe das Geleitwort schrieb – noch immer das beste Editorial aus 100 Jahren Blattgeschichte. „Tatsachen berichten“ solle der Bosch-Zünder, die „sachliche Wertung unserer gemeinsamen Aufgaben“ ermöglichen, und das „unter Ablehnung jedes einseitigen Beeinflussungsversuchs“. Das gilt noch heute. Und weise nahm Robert Bosch sich selbst zurück: „Wir denken uns die Zeitschrift nicht als ein Nachrichtenblatt der Geschäftsleitung, wir hoffen vielmehr auf rege Mitarbeit der Angestellten und Arbeiter.“
Die rege Mitarbeit blieb nicht aus, gerade in den Anfängen schrieben viele Boschler am Bosch-Zünder mit. Blättern wir in den Jahrgang 1926. Darin finden sich nicht nur lange und ziemlich grundsätzliche Leitartikel des ersten Schriftleiters Otto Debatin, etwa zum „sozialen Waffenstillstand“. Vielmehr hält Debatin auch Kontroversen aus. So liefert er sich in der Spalte „Meinungsaustausch“ einen heftigen Disput mit dem Betriebsrat zum Thema Rationalisierung. Unterhaltsamer wird es erst, wenn einzelne Angestellte sich zur Feder berufen fühlen. So können wir einen Aufsatz mit der Überschrift „Frau und Büroarbeit“ sogleich zum krassesten Fundstück aus vor-feministischen Zeiten küren. Der Autor, natürlich ein Mann, glaubt zu wissen, „dass sich nur ein kleiner Teil der Frauen aufgrund seiner wesenhaften Veranlagung in der kaufmännischen Büroarbeit zufrieden fühlen kann“. Frauen seien weniger als Männer zu Abstraktion und „gesammelter Hingabe“ in der Lage. Immerhin könne sich mit zunehmender Wirtschaftlichkeit der Umfang notwendiger menschlicher Arbeit derart verringern, „dass die Frau in der Industrie nicht mehr oder doch nur in geringem Maße gebraucht würde. Es blieben ihr trotzdem genügend andere, echt weibliche Aufgaben." Au weia, Zitate wie diese zeigen, weshalb der Weg zur Emanzipation auch bei Bosch ziemlich lang war.
Die Geburt einer Idee
Viele Jahre, sogar Jahrzehnte später sollte gerade eine Frau beim Bosch-Zünder viel bewegen. Wir schreiben das Jahr 1990, die Redakteurin Marianne Waas-Frey war für eine Reportage durch die brasilianischen Standorte gereist. Eigentlich sollte sie über das Geschäft vor Ort berichten, aber am Elend der Kinder in den Favelas sah sie nicht vorbei. Lebhaft erzählte die Reporterin in der Redaktionskonferenz von ihren Eindrücken, noch lebhafter nahm der seinerzeitige Pressechef Wolfgang Knellessen die Erzählung auf, ein Wort gab das andere, und bald war die Idee einer Spendeninitiative im Raum. Alle in der Runde waren begeistert – vielleicht nicht frei von Sozialromantik. Aber heute können wir sagen, dass dies die beste Redaktionskonferenz in 100 Jahren Bosch-Zünder war. Denn aus der Spendeninitiative ist Primavera hervorgegangen – ein Verein von gut 1 450 Bosch-Mitarbeitern, der rund 19 000 Kinder an Bosch-Standorten in 17 Ländern unterstützt. Bis heute hat er dafür nahezu zehn Millionen Euro an Spenden gesammelt. Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern, sagt man, aber die Primavera-Idee des Bosch-Zünders veraltet nicht.
Doch so international die Geschichten schon im vergangenen Jahrhundert waren, erschienen sind sie noch in deutscher Sprache. Das sollte sich erst 2005 ändern, als der Bosch-Zünder erstmals für die Mitarbeiter in aller Welt in sieben Sprachen erschien – ein polyglottes Konzept mit inzwischen zehn Sprachen, das seither mit vielen Preisen ausgezeichnet worden ist. Und die Redaktion war nicht mehr nur in Ländern wie Brasilien unterwegs, sie leuchtete alle auch noch so entlegenen Flecken der Globalisierung aus. „Keine Konkurrenz im Umkreis von 3700 Kilometern.“ So einsam schön begann etwa 2013 eine Reportage vom Ende der Welt. Sie beschrieb die weit und breit unangefochtene Marktführerschaft von Bosch Thermotechnik auf der Osterinsel. Auch diese Geschichte aus der Mitte des pazifischen Ozeans hat einen Superlativ verdient – sie ist globalste in 100 Jahren Bosch-Zünder. Überboten werden kann sie erst mit einer Reportage vom Mond.
Aus dem Dunkeln ins Licht
Aber immer noch liegt das Gute auch ziemlich nahe. Eine der spannendsten Bosch-Zünder-Geschichten begann Anfang der 1990er Jahre gleich bei Stuttgart – in einer Rangierlok, die mit 45 Spitze entlang der ICE-Neubaustrecke von Tunnel zu Tunnel tuckerte. Es waren Bosch-Ingenieure, die seinerzeit Nacht für Nacht mit der Lok von Loch zu Loch unterwegs waren, um den Tunnelfunk zu installieren. Die Arbeit im Dunkeln, die sonst keiner sieht – das ist es, was der Bosch-Zünder auch nach 100 Jahren immer wieder ans Licht bringen muss.
Es sind die großen Reportagen aus der Arbeitswelt, die nach wie vor den gedruckten Bosch-Zünder auszeichnen. Das Blatt kommt heute im Magazinformat daher, es erscheint in einer Auflage von 200 000 viermal im Jahr, und jede Ausgabe widmet sich einem Schwerpunkt. So feiert das Jubiläumsheft zwar durchaus das Jubiläum, aber sein großes Thema ist die Nachhaltigkeit. Und dazu kommt nicht nur die eigene Geschäftsführung zu Wort, vielmehr auch der Klimaforscher Hans-Joachim Schellnhuber. Das weitet den Blick über Bosch hinaus, es hilft hintergründig zu verstehen, warum das eigene Unternehmen mit allen seinen Standorten schon 2020 CO₂-neutral wird. Tiefe der Berichterstattung ist das eine, die Devise „kurz, klar, wahr“ nach wie vor das andere. Ein Anspruch, der heute zum Beispiel durch die BZ News eingelöst wird. Dies ist ein wöchentlicher Nachrichtenüberblick, der an Standorten in 17 Ländern erscheint. Ausgehängt als Wandzeitung, informiert er auch die Mitarbeiter in der Produktion in aller Kürze über das Neueste von Bosch. Vor allem aber kommt für die Aktualität das firmeneigene Intranet ins Spiel. Kurznachrichten aus dem Netz lassen sich schon seit 1997 abrufen – die Digitalisierung hat also früh begonnen. Seit 2007 gibt es mit Bosch-Zünder Online eine tagesaktuelle Plattform im Intranet. 2012 ist daraus die Startseite für die Mitarbeiter in aller Welt geworden. Und automatisch werden dort die News personalisiert – je nach Geschäftseinheit, Region, Standort oder Leserinteressen. Seit 2015 schließlich können sich die Boschler in aller Welt auch unterwegs auf dem Laufenden halten. Es gibt zwei Bosch-Zünder-Apps, und 35 000 Mitarbeiter machen davon regen Gebrauch. Die Zeitung des Robert Bosch hat digitale Geschwister bekommen.
Der Geist des Gründers
Genau hier schließt sich ein Kreis. Was sich Robert Bosch schon in der ersten Ausgabe des Bosch-Zünders gewünscht hatte, „die rege Mitarbeit der Arbeiter und Angestellten“, übersetzen die digitalen Medien ins Liken, Teilen und Kommentieren. Jeden Monat gehen „online“ gut 1 000 Kommentare und nahezu 3 000 Likes ein. Wie schnell, wie offen die digitalen Geschwister des Bosch-Zünders sein können – auch davon lässt sich zu guter Letzt eine Geschichte erzählen. Wir sind im Jahr 2015 angekommen, und Bosch peilt die Zukunft der Mobilität an – das elektrische, automatische und vernetzte Fahren. Schweren Herzens entscheidet sich die Geschäftsführung für die Trennung vom traditionsreichen Geschäft mit Startern und Generatoren – ein Geschäft, das sie zwei Jahre später mit allen Arbeitsplätzen an einen chinesischen Automobilzulieferer abgibt. Bis dahin jedoch erhitzen sich die Gemüter – mit nahezu 2 000 digitalen Kommentaren. Und der Bosch-Zünder nutzt die Schnelligkeit seines Online-Formats – er bringt Frage-Antwort-Kataloge, er berichtet tagesaktuell von Demonstrationen und Betriebsversammlungen.
Da skandieren betroffene Mitarbeiter „We are Bosch“, da hält der verantwortliche Geschäftsführer Rolf Bulander dagegen: „Wir sind überzeugt, dass es der richtige Schritt ist, und davon möchte ich Sie überzeugen.“ Zugegeben, für einen so freimütigen Diskurs eignet sich nicht jedes Thema, auch Bosch-Zünder Online muss Rücksichten auf Geschäftspartner des Unternehmens nehmen. Aber im konkreten Fall ist die Kontroverse schließlich in einen Konsens eingemündet. Je offener die Diskussion, desto größer die Chance, Veränderungen zu verstehen.
Viel Wandel also, aber braucht es im Wandel auch einen neuen Geist? Diese Frage stellte zu Beginn der 1990er Jahre der seinerzeitige Chefredakteur Jens-Peter Eichmeier dem Bosch-Chef Marcus Bierich – es war das erste CEO-Interview im Bosch-Zünder. Bierichs Antwort können wir uns auf der Zunge zergehen lassen: „Nein, einen neuen Bosch-Geist brauchen wir nicht. Wir haben ja den unseres Gründers.“ Davor können wir uns zum Jubiläum des Bosch-Zünders nur verneigen.
Autor: Ludger Meyer